Kolumne
Top-Juristen
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Zuletzt sind mir in den Medien sehr häufig Top-Juristen begegnet. Das ist an sich nichts Besonderes, mir begegnen berufsbedingt auch im werktäglichen Alltag jede Menge Juristinnen und Juristen dieser Güte. Dennoch stelle ich mir die Frage, wem die Presse aus welchen Gründen dieses Etikett anheftet. Das schreibt sie nämlich nicht dazu. Ist es die Funktion? Oder die Qualifikation? Oder muss beides top sein?

10. Aug 2023

In einem Fall der jüngeren Berichterstattung wurde ein Landesjustiz­minister als Top-Jurist bezeichnet. Das scheint mir bei diesem Amt nicht abwegig. Interessanterweise kamen in anderen Beiträgen derselben Zeitungsausgabe auch eine Landesjustizministerin und der Bundes­justizminister vor – beide ohne dieses Gütesiegel. Eingeweihte wissen, dass der genannte Landesjustizminister tatsächlich einer der ganz seltenen Doppel-Einser ist. Mehr „Top“ geht in Jura nicht. Aber wusste das auch die Journalistin? Die Leserinnen und Leser sicher nicht.

Bei einem anderen Top-Juristen könnte sich die Titulierung aus seiner früheren Position als globaler Steuerchef einer internationalen Großkanzlei abgeleitet haben. Allerdings wurde über ihn berichtet, weil er sich bald wegen seiner unrühmlichen Rolle im Cum-Ex-Skandal vor Gericht verantworten muss. In diesem Zusammenhang wirkte die Bezeichnung Top-Jurist ziemlich unpassend. Der Fall zeigt immerhin, dass auch Top-Juristen nicht davor gefeit sind, Top-Torheiten zu begehen.

Die großen Wirtschaftskanzleien gelten überhaupt als Hort von Top-Juristen. Schließlich handelt es sich bei diesen Sozietäten in den Medien oft um Top-Kanzleien, also müssen diejenigen, die dort arbeiten, auch Top-Juristen sein. Sind sie aber nicht immer: „Falscher Anwalt narrte jahrelang Top-Juristen“, schrieb kürzlich die Bild-Zeitung nach ­einem ­Urteil gegen einen jungen Mann, der sich mit gefälschten Examenszeugnissen bei „Top-Adressen“ beworben hatte und tatsächlich von ­einer „Top-Kanzlei“ angestellt wurde.

Der Boulevard ist nicht nur in dieser Geschichte sehr generös bei der Vergabe des Top-Siegels. Fast alle, die dort vorkommen, sind top. Der Rockstar hat einen Top-Anwalt aus einer Top-Medienkanzlei engagiert, der für ihn gegen üble Verdächtigungen zu Felde zieht. Der Top-Manager hat einen Top-Verteidiger verpflichtet, um sich gegen den Vorwurf der Untreue zu wehren. Und wann immer der Boulevard Juris­tinnen und Juristen braucht, die zu diesem oder jenem Rechtsthema bereitwillig eine fundierte Einschätzung abgeben, sind es natürlich Top-Juristen, völlig egal, welche Qualifikation oder Funktion sie haben.

Noch großzügiger bei der Vergabe des vermeintlichen Gütesiegels sind die Medien in ihren mittlerweile etwas inflationären Rankings und Listen von Top-Anwältinnen und -Anwälten. Diese sind oft so lang, dass damit die Top-Bezeichnung gleich wieder relativiert wird. Die dort Genannten freuen sich trotzdem, denn ihre Mandanten beeindruckt das natürlich sehr. Und eine Urkunde mit dem Top-Siegel gibt es auch, meist aber nur gegen Geld. Da sind die jeweiligen Verlage dann weniger groß­zügig.

Rechtsanwalt Tobias Freudenberg ist Top-Schriftleiter der Top-NJW, Frankfurt a.M..