Urteilsanalyse
Terminsgebühr für einen geplatzten Termin auch bei Abbruch der Anreise
Urteilsanalyse
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Der Begriff des Erscheinens ist nach einem Beschluss des LG Magdeburg vom 15.04.2020 teleologisch erweiternd dahingehend auszulegen, dass es grundsätzlich auch ausreicht, wenn der sich bereits auf dem Weg befindliche Rechtsanwalt zur Terminsteilnahme gewillt ist und von einem Aufsuchen des Gerichtsgebäudes lediglich deshalb absieht, weil er noch kurzfristig während der Anreise zum Gericht von der Terminsaufhebung erfährt.

15. Jun 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 12/2020 vom 10.06.2020

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Sachverhalt

Der erinnerungsführende Rechtsanwalt nahm als Terminsvertreter an mehreren Hauptverhandlungsterminen teil. Zwei Hauptverhandlungstermine am 07.10. und 08.10.2019 wurden wegen Erkrankung des Vorsitzenden kurzfristig am 07.10.2019 aufgehoben. Die Abladung des Erinnerungsführers erfolgte telefonisch am 07.10.2019 morgens. Der Erinnerungsführer beantragte unter dem 17.10.2019, seine Kosten und Auslagen entsprechend seiner beigefügten Kostennote in Höhe von 5.377,73 EUR festzusetzen und auszukehren. In der Kostennote war unter anderem eine Terminsgebühr für den 07.10.2019 in Höhe von 424 EUR nebst Umsatzsteuer enthalten. Zur Begründung führte er aus, die Abladung am 07.10.2019 erst nach Fahrtantritt zum Gericht auf der A2, kurz vor dem Dreieck Braunschweig-Nord, erhalten zu haben. Dort habe er die Reise abgebrochen und den Rückweg angetreten.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 4.620,89 EUR fest. Eine Terminsgebühr für den 7.10.2019 nebst Umsatzsteuer berücksichtigte sie nicht. Sie komme nicht in Betracht, weil der Rechtsanwalt nicht bei dem Gericht erschienen sei. Hiergegen wandte sich der Rechtsanwalt mit seinem Rechtsbehelf und trug im Wesentlichen vor, es könne ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass er noch auf der Fahrt durch eine Freisprechanlage erreichbar war und somit vor Eintreffen bei Gericht von der Terminsaufhebung Kenntnis erlangt hatte. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle half der Erinnerung nicht ab. Die Erinnerung hatte teilweise Erfolg.

Entscheidung: Erscheinen ist im Antritt des Weges zum Gericht Anfang nehmender Vorgang

Die Terminsgebühr für den kurzfristig abgesagten Hauptverhandlungstermin am 07.10.2019 sei antragsgemäß auf 424 EUR gemäß Nr. 4120 RVG zuzüglich der hierauf entfallenden Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG festzusetzen. Nach Vorbemerkung 4 Abs. 3 Satz 2 und 3 VV RVG erhalte der Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheine, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten habe, nicht stattfinde, es sei denn, er sei rechtzeitig von der Aufhebung oder Verlegung des Termins in Kenntnis gesetzt worden. Der Begriff des Erscheinens sei teleologisch erweiternd dahin auszulegen, dass es grundsätzlich auch ausreiche, wenn der sich bereits auf dem Weg befindliche Rechtsanwalt zur Terminsteilnahme gewillt sei und von einem Aufsuchen des Gerichtsgebäudes lediglich deshalb absehe, weil er noch kurzfristig während der Anreise zum Gericht von der Terminsaufhebung erfahre. Die Kammer folge insoweit nicht der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München, das eine solche erweiternde Auslegung ablehne (vgl. nur Beschluss vom 23.04.2018 - 6 St (K) 12/18, BeckRS 2018, 11560). Denn diese Rechtsprechung vermöge nicht zu überzeugen. Das OLG München führe insoweit aus, der eindeutige Wortlaut der Norm lasse keine Auslegung zu, die auf die körperliche Anwesenheit des Rechtsanwalts im Gericht verzichte. Dieses Erfordernis stehe mit der Gesetzesbegründung im Einklang und sei zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten geboten.

Nach Überzeugung der Kammer lege zwar der Wortlaut der Norm, die davon spreche, dass der Rechtsanwalt zu dem Termin «erscheint», es nach allgemeinem Sprachgebrauch nahe, die körperliche Anwesenheit am Ort der vorgesehenen Hauptverhandlung zu verlangen. Er sei jedoch nicht derart unflexibel, dass er jede Auslegung verbieten würde. So spreche der Gesetzestext nicht von dem Rechtsanwalt, der zu dem Gerichtstermin «erschienen ist», sondern von dem Rechtsanwalt, der zu dem Termin «erscheint». Dies lasse es durchaus zu, das Erscheinen nicht allein als Zustand der Anwesenheit, sondern als anwaltliche Tätigkeit, mithin einen Vorgang zu verstehen, der mit dem Antritt des Weges zum Gericht bereits seinen Anfang nehme. Auch der Verweis des OLG München auf die sich stellenden Abgrenzungsschwierigkeiten bei einer Vorverlegung des Erscheinens auf den Antritt des Weges zum Gericht vermöge an der Notwendigkeit einer erweiternden Auslegung des Begriffes «erscheint» nichts zu ändern. Das Finden von rechtssicheren und handhabbaren, aber auch im Einzelfall gerechten Lösungen für Grenzfälle gehöre zu der originären Aufgabe der Rechtsprechung, der sie sich weder entziehen dürfe noch könne.

Praxishinweis

Mit einer ausführlich begründeten Entscheidung grenzt sich das LG Magdeburg von der Auffassung des OLG München (Beschluss vom 23.04.2018 - 6 St (K) 12/18, BeckRS 2018, 11560 m. Anm. Mayer FD-RVG 2018, 406958) ab, das die Auffassung vertreten hat, dass zu einem Termin der Rechtsanwalt nur dann «erscheint», wenn er mit dem Ziel der Teilnahme an den Gerichtsterminen im Gerichtsgebäude körperlich anwesend ist. Die Auffassung des OLG München führt zu dem unbefriedigenden Ergebnis, dass der Anwalt gebührenrechtlich am Besten fährt, der auf der Anreise zum Termin für seine Kanzlei nicht erreichbar ist (siehe näher zu der Problematik Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019 ,VV Vorbem. 4 Rn. 40 f.).

LG Magdeburg, Beschluss vom 15.04.2020 - 21 Ks 5/19, BeckRS 2020, 7555