Urteilsanalyse
Teilung der Verfahrenskosten bei Uneinigkeit der Kindeseltern über Corona-Impfung des gemeinsamen Kindes
Urteilsanalyse
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Muss das Familiengericht wegen Uneinigkeit der Kindeseltern einem Elternteil die Entscheidungsbefugnis über die Impfung des gemeinsamen Kindes gegen Covid-19 allein übertragen, entspricht es - so das OLG Bremen - regelmäßig der Billigkeit, dass die Eltern die Gerichtskosten jeweils zur Hälfte und ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst tragen.

28. Mrz 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 06/2022 vom 25.03.2022

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Sachverhalt

Das Familiengericht übertrug per einstweiliger Anordnung auf den antragstellenden Kindesvater die Befugnis, allein über eine Corona-Schutzimpfung des betroffenen Kindes zu entscheiden. Die Kosten des Verfahrens wurden gegeneinander aufgehoben. Der Kindesvater wandte sich mit seiner Beschwerde gegen den Kostenausspruch. Er wollte erreichen, dass allein die Kindesmutter die Kosten des Verfahrens zu tragen habe. Er machte er geltend, das Verfahren sei notwendig gewesen, weil sich die Kindesmutter kategorisch der elterlichen Auseinandersetzung mit dem Thema verweigert habe und eine Haltung vertrete, die dem aktuellen Stand gängiger medizinischer Behandlung widerspreche. Die in der Sache getroffene Entscheidung folge in Gänze seinem Antrag.

Entscheidung: Kein grobes Verschulden der Kindesmutter

Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Die erstinstanzliche Kostenentscheidung sei nicht zu beanstanden. Es entspreche auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG in Verbindung mit § 51 Abs. 4 FamFG billigem Ermessen, die Kindeseltern zu gleichen Teilen an den Gerichtskosten zu beteiligen und sie ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst tragen zu lassen. Ein Fall des § 81 Abs. 2 FamFG, in dem das Gericht die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen solle, liege nicht vor. Insbesondere habe die Kindesmutter nicht im Sinn der Nr. 1 dieser Vorschrift durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben. Von einem groben Verschulden könne keine Rede sein, wenn – wie hier die Kindesmutter – ein Elternteil eine Impfung des gemeinsamen zwölf Jahre alten Kindes gegen Covid-19 unter anderem mit der Begründung ablehne, dass noch keine Langzeitstudien zu den Nebenfolgen einer solchen Impfung vorlägen. Dies gelte umso mehr, wenn, – wie hier – das betroffene Kind nicht explizit den Wunsch äußere, geimpft zu werden, sondern selbst daran zweifle, welches die richtige Entscheidung sei.

Widerstreitende Meinungen der – jeweils auf ihre Weise das Wohl des Kindes im Blick habenden – Kindeseltern zur Frage der Corona-Impfung ihres Kindes könnten, wenn mangels erzielbarer Einigung ein familiengerichtliches Verfahren zur Entscheidung der streitigen Frage erforderlich werde, regelmäßig nicht dazu führen, einen Elternteil mehr als den anderen mit den dadurch entstehenden Gerichtskosten zu belasten oder gar einem Elternteil auch die außergerichtlichen Kosten des anderen aufzuerlegen. Denn auch wenn nach den gegenwärtigen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft mehr für als gegen eine Impfung zwölfjähriger Kinder sprechen möge, müsse es – jedenfalls dann, wenn wie hier keine zwingende medizinische Indikation zur Impfung des Kindes bestehe – einem Elternteil möglich sein, eine andere Position zur Frage der Impfung einzunehmen als sie der andere Elternteil vertrete, ohne befürchten zu müssen, deshalb unter Umständen im Falle des Unterliegens bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung über dieses Thema stärker als der andere für die dadurch entstehenden Kosten herangezogen zu werden.

Praxishinweis

Das OLG Bremen hat die salomonische Entscheidung getroffen, dass bei Uneinigkeit der Kindeseltern über die Impfung des gemeinsamen Kindes gegen Covid-19 die Eltern die Gerichtskosten jeweils zur Hälfte und ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen. Das OLG Bremen liegt damit auf der Linie des OLG Rostock (Beschluss vom 10.12.2021 - 10 UF 121/21, NZFam 2022, 69, 75). Strenger waren das OLG München (Beschluss vom 18.10.2021 - 26 UF 928/21, BeckRS 2021, 33306) und das OLG Frankfurt (Beschluss vom 17.08.2021 - 6 UF 120/21, NZFam 2021, 872), welche im Beschwerdeverfahren in diesem Zusammenhang § 84 FamFG angewandt hatten.

OLG Bremen, Beschluss vom 09.02.2022 - 5 UF 5/22 (AG Bremen), BeckRS 2022, 3413