Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Martin Diller, Gleiss Lutz, Stuttgart
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 12/2021 vom 25.03.2021
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Sachverhalt
Bei der Arbeitgeberin war die betriebliche Altersversorgung durch Betriebsvereinbarung („Pensionsordnung 2006“) geregelt. Ziff. 22 der Pensionsordnung 2006 enthielt unter der Überschrift „Änderung und Entziehung von Leistungen“ die üblichen steuerunschädlichen Mustervorbehalte:
„Die Leistungen nach dieser Pensionsordnung können ganz oder teilweise nicht oder nicht mehr gewährt werden, wenn ... sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens nachhaltig so wesentlich verschlechtert hat, dass ihm eine Aufrechterhaltung der Leistungen nicht mehr zugemutet werden kann.“
Mitte 2017 befand sich das Unternehmen in einer wirtschaftlich schwierigen Situation, die zum Abschluss eines Interessenausgleichs führte (Verlagerung von Arbeitsplätzen, Stilllegung von Anlagen/Prozessen, Personalabbau).
Mit Schreiben vom 27.10.2017 erklärte die Arbeitgeberin eine Teilkündigung der Pensionsordnung 2006 zum 31.1.2018 mit dem Ziel, zum Stichtag 31.1.2018 die Betriebsrenten auf den dann erreichten Anwartschaftswert nach § 2 V BetrAVG einzufrieren und künftige dienstzeitabhängige Zuwächse auszuschließen. Der Betriebsrat leitete daraufhin ein Beschlussverfahren ein und beantragte festzustellen, dass die Teilkündigung der Betriebsvereinbarung „Pensionsordnung 2006“ unwirksam sei und diese über den 31.1.2018 hinaus unverändert fortbestehe.
Das LAG gab dem Antrag des Betriebsrats statt, weil die steuerunschädlichen Mustervorbehalte in der Betriebsvereinbarung dahingehend zu interpretieren seien, dass die Betriebsvereinbarung nur bei Vorliegen einer wirtschaftlichen Notlage gekündigt werden könne. Eine solche liege aber unstreitig nicht vor.
Entscheidung
Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers beim BAG war erfolgreich.
Zunächst machte das BAG „kurzen Prozess“ mit der Auffassung des LAG, die steuerunschädlichen Mustervorbehalte seien als Kündigungsvoraussetzung zu verstehen (krit. auch schon Diller, BetrAV 2020, 363). Die Annahme derart hoher Hürden für eine Kündigung setze eine ausdrückliche und eindeutige Regelung voraus, an der es fehle. Damit kam das BAG allerdings zu der – in den Vorinstanzen nicht diskutierten – Frage, ob eine Teilkündigung einer Betriebsvereinbarung über betriebliche Altersversorgung überhaupt möglich ist. Dies bejahte es jedenfalls insoweit, als eine Kündigung sich auf einzelne Stufen des Dreistufenschemas beschränke. Die Möglichkeit einer solchen Teilkündigung diene der Verwirklichung des Dreistufenschemas. Der Arbeitgeber könne nicht darauf verwiesen werden, sehenden Auges unter Verstoß gegen das Dreistufenschema stets die Betriebsvereinbarung insgesamt kündigen zu müssen. Vielmehr könne er von vornherein dem Streit darüber, welche Stufen des Dreistufenschemas betroffen seien und ob die jeweiligen Voraussetzungen für Eingriffe vorlägen, dadurch vermeiden, dass er seine Teilkündigung auf einzelne Ebenen der Dreistufentheorie beschränke. Die Möglichkeit einer Teilkündigung sei auch deshalb sachgerecht, weil dann die ungekündigten Teile der Versorgungsregelung normativ fortbestehen könnten.
Die Teilkündigung habe auch keine Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verletzt. Denn soweit eine Teilkündigung Besitzstände auf einer der Stufen des Dreistufenschemas insgesamt beseitigen solle, komme ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht in Betracht, da nichts umzuverteilen sei.
Praxishinweis
Der Entscheidung ist, sofern man die Rspr. zum Dreistufenschema nicht grundsätzlich für verfehlt hält, uneingeschränkt zuzustimmen. Sie dient der Rechtssicherheit ebenso wie dem Betriebsfrieden. Es wäre niemandem gedient, wenn Versorgungsregelungen stets nur insgesamt kündbar wären und dann in langwierigen Prozessen um die Anwendbarkeit und die Voraussetzungen des Dreistufenschemas festgestellt werden müsste, welche Elemente der Versorgungsordnung trotz der Kündigung aufrecht erhalten bleiben.
BAG, Beschluss vom 08.12.2020 - 3 ABR 44/19 (LAG München), BeckRS 2020, 34448