Anmerkung von
RAin Dr. Ricarda Zeh, LL.M. (Columbia), Gleiss Lutz, Stuttgart
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 11/2022 vom 23.03.2023
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Sachverhalt
Der Kläger ist bei dem ungarischen Unternehmen MÁV-START als Lokführer beschäftigt und unterliegt den Regelungen eines Tarifvertrags für Lokführer. Der Tarifvertrag bestimmt eine tägliche Ruhezeit von zwölf Stunden. Ferner sind den Lokführern zwei wöchentliche Ruhetage zu gewähren, die so festzulegen und zu gewähren sind, dass zwischen zwei Dienstzeiten eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 42 Stunden liegt.
MÁV-START plant die Arbeitszeit des Klägers monatlich und gewährt dem Kläger zwischen zwei Arbeitsperioden eine tägliche zwölfstündige Ruhezeit sowie einmal pro Woche eine wöchentliche Ruhezeit von mindestens 42 zusammenhängenden Stunden. Wurde dem Kläger die wöchentliche Ruhezeit gewährt, wurde ihm allerdings, ebenso wie bei Inanspruchnahme eines Urlaubs, nicht zusätzlich auch noch die tägliche Ruhezeit gewährt.
Entscheidung
Nach Art. 3 der Arbeitszeitrichtlinie ist jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden zu gewähren. Nach Art. 5 Arbeitszeitrichtlinie ist jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Art. 3 zu gewähren.
Der EuGH stellt klar, dass die tägliche und wöchentliche Ruhezeit getrennt voneinander zu betrachten sind. Beide Ruhezeiten sind separat geregelte autonome Rechte und haben unterschiedliche Schutzrichtungen, wobei die tägliche Ruhezeit es dem Arbeitnehmer ermöglichen soll, sich für eine bestimmte Anzahl von Stunden, die nicht nur zusammenhängen, sondern sich auch unmittelbar an eine Arbeitsperiode anschließen müssen, aus seiner Arbeitsumgebung zurückzuziehen, und die wöchentliche Ruhezeit es dem Arbeitnehmer ermöglichen soll, sich pro Siebentageszeitraum auszuruhen. Daher sei dem Arbeitnehmer die tatsächliche Inanspruchnahme beider Rechte zu gewährleisten. Die tägliche Ruhezeit kommt also stets zur wöchentlichen Ruhezeit hinzu.
Ferner stellt der EuGH klar, dass eine über die Arbeitszeitrichtlinie hinausgehende günstigere Regelung der wöchentlichen Ruhezeit (vorliegend mindestens 42 Stunden) nicht das Entfallen der täglichen Ruhezeit kompensieren kann. Der Arbeitnehmer habe weiterhin ein Recht auf die tägliche Ruhezeit.
Zuletzt stellt der EuGH klar, dass ein Arbeitnehmer, dem eine wöchentliche Ruhezeit gewährt wird, aus Art. 3 Arbeitszeitrichtlinie auch Anspruch auf eine tägliche Ruhezeit hat, die dieser wöchentlichen Ruhezeit vorausgeht. Jeder Arbeitnehmer müsse nach einer Arbeitsperiode sofort eine tägliche Ruhezeit erhalten und zwar unabhängig davon, ob sich an diese Ruhezeit eine Arbeitsperiode anschließt oder nicht. Werden die tägliche und die wöchentliche Ruhezeit zusammenhängend gewährt, dürfe die wöchentliche Ruhezeit erst dann beginnen, wenn der Arbeitnehmer die tägliche Ruhezeit in Anspruch genommen hat.
Praxishinweis
Das Ergebnis des EuGH entspricht dem klaren Wortlaut des Art. 5 der Arbeitszeitrichtlinie und ist daher wenig überraschend. Der nationale Gesetzgeber kann über den Mindeststandard der Richtlinie hinausgehen und eine längere wöchentliche Ruhezeit oder eine längere tägliche Ruhezeit vereinbaren. Es bleibt aber auch dann bei dem Grundsatz des Art. 5 Arbeitszeitrichtlinie, dass die wöchentliche Ruhezeit „zuzüglich“ der täglichen Ruhezeit zu gewähren ist.