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Tabubruch in der NJW
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RedekerNJW1964-1097
RedekerNJW1964-1097

Im 75. Jahrgang der NJW schreiben Juristinnen und Juristen in loser Folge, was sie persönlich mit der Zeitschrift verbindet. Beim Autor dieses Beitrags ist es ein Aufsatz, der mitentscheidend war für die Wahl des Anwaltsberufs und die Kanzlei, in der er heute Partner ist. Clou der Geschichte: Heute ist er Mitherausgeber der NJW, wie schon der Autor des damaligen Beitrags.

10. Feb 2022

Am 11.6.1964 kam es zum Tabubruch. Die Neue Juristische Wochenschrift, bis dahin eher unpolitisch, veröffentlichte unter dem irreführenden Titel "Bewältigung der Vergangenheit als Aufgabe der Justiz" einen Aufsatz des damals 41 Jahre alten Bonner Rechtsanwalts Konrad Redeker (NJW 1964, 1097). Der Aufsatz führte wenige Tage darauf zum Rücktritt des angesehenen Staatsrechtslehrers Theodor Maunz als bayerischer Kultus­minister und 35 Jahre später zur Entscheidung eines frisch gebackenen Assessors, seine Universitätskarriere zu schmeißen und bei eben jenem Konrad Redeker den Beruf des Rechtsanwalts zu ergreifen.

Was war geschehen? Redeker hatte Anfang der 60 er Jahre Schleswig-Holstein gegen Pensionsforderungen des anerkannten Juristen Franz Schlegelberger vertreten. Dieser hatte sich 1941 als Staatssekretär im Reichsjustizministerium maßgeblich für die Straflosigkeit von "Euthanasie"-Aktionen eingesetzt. Die Landesregierung wollte seine Pensionsbescheide wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit widerrufen, war damit aber mangels Belastungsmaterials zunächst gescheitert. Das Land, so erinnerte sich Redeker 2004, "beauftragte mich mit seiner Vertretung, lieferte aber an Tatsachen nichts. Es blieb nichts anderes übrig, als sie selbst zu beschaffen. Was ich in den zwei Wochen, in denen ich durch die Bundesrepublik reiste, um das Material zu beschaffen, kennenlernte, hat mein Denken über die Realität unserer Juristerei für immer geprägt. An den widerlichsten Lehren und Taten, die ich ermittelte, waren manche in der Nachkriegszeit hochangesehene Professoren und Richter aktiv beteiligt gewesen. Larenz zum Beispiel, unser Methodenpapst, hatte gelehrt, dass das Recht auf dem Blute beruhe; damit waren die Juden aus der Rechtsordnung ausgegliedert. Maunz hatte geschrieben, der Befehl des Führers schaffe bindendes Recht gegenüber jeder anderen Norm; er brauche nicht einmal veröffentlicht zu werden. Mich hat dies alles bewegt und ich habe 1964 in der NJW unter Heranziehung mancher Zitate jetzt führender Hochschullehrer die Frage gestellt, welche Antwort ein schlichter SS-Mann - eingeteilt zu Judenerschießungen - auf die Frage nach der Rechtmäßigkeit solcher Tötungen von diesen Hochschullehrern wohl bekommen hätte" ("Aus der Geschichte der Kanzlei: Berufs- und Rechtspolitik" - unveröffentlichtes Manuskript).

Von seiner damaligen Wucht hat der Aufsatz noch immer nichts eingebüßt. Er brach explizit und erstmals das Schweigegelübde, das sich der juristische Berufsstand bis in die sechziger Jahre auferlegt hatte. Wörtlich und wütend wurden all' jene "gebräunten Hochschullehrer" (Redeker) zitiert, die dem Führer einst gehuldigt hatten und die sich nun - auch im Verlag C.H.Beck - an der Erläuterung des demokratischen Rechtsstaats versuchten. Das Nazi-Unrecht sei nur möglich gewesen, "weil das NS-Rechtsdenken auf eine Juristengeneration stieß, die dem Elan und dem massiven Druck solcher Anschauungen wenig an eigener Sicherheit rechtlicher Grundpositionen entgegenzustellen hatte" (NJW 1964, 1097, 1100).

Die Resonanz war unerwartet. Wenige Tage nach der Veröffentlichung, so berichtete mir Konrad Redeker später, erhielt er einen Anruf von einer - ihm damals unbekannten - Politikerin namens Hildegard Hamm-Brücher, die sich die Richtigkeit der Zitate bestätigen lassen wollte. Die NS-Literatur war seinerzeit "in ,Giftschränken' unter Verschluß, von den Besatzungsmächten veranlaßt, um jeder ,Verführung' vorzubeugen" - nicht nur deshalb sei es für die NJW-Schriftleitung sehr schwierig gewesen, "diesen Aufsatz überhaupt abzudrucken" (Schreiben vom 15.11.2000). Umso geschickter wusste Hamm-Brücher den Aufsatz gegen Maunz zu nutzen: Zwei Wochen nach seinem Erscheinen musste er seinen Rücktritt einreichen. Nachdem in der bayerischen Presse die Vermutung laut geworden war, hinter dem NJW-Aufsatz stecke niemand anderes als die spätere "grande dame" der FDP selbst, wandte sich Redeker an die Politikerin und bat sie, für die "notwendige Klarstellung" zu sorgen, da er sich "in die entstandenen politischen Auseinandersetzungen nicht einmischen wolle" (Brief an Hamm-Brücher vom 11.7.1964).

Konrad Redeker hätte dieses Jahr sein 100. Lebensjahr erreicht, die NJW feiert ihren 75. Geburtstag. Beide haben sie die Entwicklung unseres Rechtsstaats und einer selbstbewussten Anwaltschaft mitgeprägt. Den Beruf des Anwalts hätte ich ohne diese beiden gewiss nicht ergriffen.

Dr. Ulrich Karpenstein ist Partner der Kanzlei Redeker Sellner Dahs und Mitherausgeber der NJW.