Kolumne
Systemrelevante Zahlen
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Foto Markus Hartung
Markus Hartung/Frank Eidel
Foto Markus Hartung

An der Systemrelevanz der Anwaltschaft kann man nicht ernsthaft zweifeln, ohne uns funktioniert die Rechtspflege nicht. Das muss man aber immer wieder sagen, wurde auch schon gesagt, zuletzt wieder sehr vernehmbar vom Deutschen Anwaltverein und der Bundesrechtsanwaltskammer. 

15. Mai 2020

Der DAV ist losgestürmt, die BRAK hat die Vorlage aufgenommen und das Ding reingemacht, so sprach man mal in einer fast vergessenen Sportart. Einige wenige Bundesländer sperren sich noch, die sind jetzt auf der Watchlist der BRAK und müssen sich vermutlich auf was gefasst machen.

Über die Anwaltschaft in der Krise konnte man jetzt interessante Dinge lernen. Homeoffice etwa war bislang eher unpopulär, obwohl es doch angeblich viele Anwälte mit Wohnzimmerkanzlei geben soll. Aber nach Erhebungen des Soldan-Instituts arbeiten nur 22 Prozent der Anwaltschaft häufig in der Heimkanzlei, 21 Prozent immerhin gelegentlich, der Rest selten bis nie. Über die Gründe kann man rätseln, vermutlich hat man lieber alles um sich herum, und angesichts des holperigen beA sollte man sich sowieso besser nicht zu weit vom Fax wegbewegen. Manche bevorzugen sogar Fax auf Autobahnraststätten, aber das gehört hier nicht hin. Immerhin gibt es dem Vernehmen nach viele Kanzleien, die ohne weitere Probleme ins Homeoffice konnten, sowohl kleine wie die großen und internationalen, die zwar in schicken Büros residieren, aber komplett digital aufgestellt sind. Ein Großteil der deutschen Anwälte ist aber immer noch analog unterwegs, nicht anders als die Justiz. Die Krise kommt als Weckruf, und da sie so schnell nicht vorbeigehen wird, ist den analogen Kollegen zu wünschen, dass sie sich nicht einfach auf die andere Seite drehen. Das gilt auch für die Justiz.

Wirtschaftlich sieht es schlecht aus. Das folgt aus einer lobenswerten Umfrage der BRAK, die hier bereits erwähnt wurde. Ein weites Feld. An nennenswerten Teilen der Anwaltschaft ist die Umfrage vorbeigegangen: Von den fast 14.500 Teilnehmern kamen nur 36 aus Berlin und 300 aus Hessen, das sind 1,4 Prozent der hessischen und 0,25 Prozent der Berliner Anwälte. Zwei Drittel der Teilnehmer kamen aus NRW, Bayern und Baden-Württemberg, aber diese Schlagseite lassen wir mal rechts liegen. Für heute mag genügen, dass nur 20 Prozent der Befragten keinen Geschäftseinbruch verzeichnen konnten. Seltsamerweise wurde nicht die Frage danach gestellt, ob man wegen Corona mehr Mandate als sonst hat, aber wer möchte schon riskieren, als Krisengewinnler dazustehen.

Gut zwei Drittel der Anwälte leiden schwer bis sehr schwer unter Nachfrageeinbruch, 10 Prozent der Befragten haben Kurzarbeit eingeführt. Vermutlich hat in einigen Fällen die Krise etwas beschleunigt, was ohnehin schon problematisch war.

Aber: Wie gehen Systemrelevanz und Nicht-gebraucht-werden zusammen? Die Sonderstellung sollte ermöglichen, dass man trotz Schulund Kitaschließungen Betreuungsangebote nutzen kann, um weiterhin tätig sein zu können, eben weil man unverzichtbar ist – obwohl nach der Studie nur 8 Prozent dringend auf Betreuungsangebote angewiesen sind. Irgendwie stimmt hier der Spin nicht. •

Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Mediator in Berlin, Senior Fellow des Bucerius Center on the Legal Profession und Mitglied des Berufsrechtsausschusses des DAV.