Urteilsanalyse
Streitwertbemessung bei einer steckengebliebenen Pflichtteilsstufenklage
Urteilsanalyse
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Der Streitwert der Pflichtteilsstufenklage bestimmt sich, so das OLG München, nach den realistischen wirtschaftlichen Erwartungen des Klägers zu Beginn des Verfahrens.

21. Sep 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 19/2023 vom 21.09.2023

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Anmerkung von Hans-Jochem Mayer

Der Kläger nahm die Beklagte, die sein verstorbener Vater testamentarisch als Alleinerbin eingesetzt hatte, im Wege der Pflichtteilsstufenklage auf Auskunft in Anspruch. Seine Pflichtteilsquote bezifferte er auf 1/16, den Wert seines Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs auf mindestens 10.000 EUR. Er erklärte den Rechtsstreit später in der Hauptsache für erledigt und teilte mit, die Beklagte habe auf seine Pflichtteilsansprüche 265.000 EUR gezahlt. Das LG setzte den Streitwert des Verfahrens auf 10.000 EUR fest, die Kosten des Rechtsstreits wurden der Beklagten auferlegt. Es stellte es darauf ab, dass auf die Vorstellungen des Klägers zu Beginn der Instanz abzustellen sei, auch wenn diese nachträglich übertroffen würden. Dagegen legte der Anwalt der Beklagten Streitwertbeschwerde ein.

Entscheidung: Bemessung aufgrund der Erkenntnisse am Ende des Verfahrens

Die Beschwerde hatte Erfolg. Das OLG hat den Streitwert auf bis zu 230.000 EUR angehoben.

Es sei umstritten, ob bei der «steckengebliebenen Stufenklage» auf die «realistischen wirtschaftlichen Erwartungen, die der Antragsteller zu Beginn des Verfahrens mit dem unbezifferten Antrag in der Leistungsstufe verknüpft» (BGH, Beschluss vom 02.07.2014 - XII ZB 219/13, NZFam 2014, 787) abzustellen sei oder auf die Erkenntnisse am Ende des Rechtszugs. Ob erstere Ansicht auf die Pflichtteilsstufenklage übertragen werden könne, hält das OLG für fraglich. Denn erbrechtliche Stufenklagen wiesen oft die Besonderheit auf, dass der Pflichtteilsberechtigte keinerlei Kenntnisse über die Zusammensetzung des Nachlasses haben müsse. Habe etwa über Jahre kein persönlicher Kontakt zwischen Pflichtteilsberechtigtem und Erblasser bestanden, wisse der Pflichtteilsberechtigte möglicherweise nicht einmal, ob überhaupt ein werthaltiger Nachlass vorhanden ist. Konsequenterweise könne er dann auch keinerlei Erwartungen hinsichtlich dessen Zusammensetzung und seiner sich daraus ergebenden Pflichtteilsansprüche haben. Die Angabe eines «vorläufigen» Streitwertes verfolge hier regelmäßig den Zweck, die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu begründen und einen Vorschuss für die Zustellung der Klage einzuzahlen. Ob allein diese vorläufige Schätzung dann die Grundlage der endgültigen Streitwertfestsetzung bilden könne, erscheine äußerst zweifelhaft.

Die Frage könne aber offenbleiben. Denn selbst wenn man ersterer Ansicht folge, seien nur die realistischen Erwartungen des Klägers zu Beginn des Verfahrens maßgeblich. Laut Senat kann im vorliegenden Fall aber die Angabe des vorläufigen Streitwertes nicht zutreffen. Denn es handele sich ersichtlich um einen wertvollen Nachlassgegenstand (Gebäude und Freiflächen sowie Wald- und Landwirtschaftsflächen von 388.920 m²). Es könne ausgeschlossen werden, dass der Kläger den Wert auf lediglich 160.000 EUR geschätzt habe. Für die Bemessung der realistischen wirtschaftlichen Erwartungen des Klägers sei daher auf die Erkenntnisse abzustellen, die bei Beendigung des Verfahrens vorliegen und sich hier aus der von den Parteien mitgeteilten Einigung ableiten ließen.

Die Beklagte habe dem Kläger auf seine Pflichtteilsansprüche (einschließlich etwaiger Pflichtteilsergänzungsansprüche) 265.000 EUR bezahlt. Ausgehend von einer Pflichtteilsquote von 1/16 deute dies auf einen deutlich höheren Grundstückswert in der Größenordnung von vier Millionen Euro hin. Der Senat halte es daher für angemessen, den Streitwert des Verfahrens erster Instanz ausgehend vom tatsächlich gezahlten Betrag unter Berücksichtigung eines Abschlages auf 230.000 EUR zu bestimmen.

Praxishinweis

Der Wert eines – isolierten – Anspruchs auf Auskunft zur Bemessung einer Pflichtteilsforderung orientiert sich maßgeblich an dem damit vorbereiteten Zahlungsanspruch und ist nach § 3 ZPO zu schätzen. Auszugehen ist dabei von den tatsächlichen Vorstellungen des Klägers im Zeitpunkt der Klageerhebung. Fehlt es an entsprechenden Anhaltspunkten, sind dessen Erwartungen zu schätzen. Von dem so ermittelten Wert ist ein Bruchteil zu bilden. In der Rechtsprechung wird – jeweils unter Berücksichtigung des Einzelfalls – ein Bruchteil von 1/10 bis 2/5 des Wertes des Leistungsinteresses angenommen (T. Winkler in BeckOK Streitwert, 44. Edition, Erbrecht – Pflichtteil Auskunftsanspruch, Rn. 1 m. w. N.).

OLG München, Beschluss vom 14.08.2023 - 33 W 321/23 e (LG Traunstein), BeckRS 2023, 21933