Urteilsanalyse
Streitgegenstand einer Unterlassungsklage
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Der Streitgegenstand einer Unterlassungsklage wird nicht nur durch das im Antrag umschriebene Klageziel bestimmt, sondern - so der BGH - auch durch den Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet, ohne dies ausdrücklich zu beantragen.

23. Jun 2023

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, BerlinRechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 12/2023 vom 16.06.2023

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Sachverhalt

Ein Antrag lautet wie folgt: „Der Beklagten … zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Produkte unter der Bezeichnung des Lebensmittels „Essig“ zu bewerben und/oder in den Verkehr zu bringen, die auch a) Traubenmost enthalten, wenn dies jeweils geschieht wie in Anlagen A bis M und/oder, b) Fruchtpüree enthalten, wenn dies jeweils geschieht wie in Anlagen A, C, E und/ oder Anlage K und/oder, c) natürliche Aromen enthalten, wenn dies jeweils geschieht wie in Anlagen A bis F, H bis J, L und/oder Anlage M und/oder, d) konzentrierten und/oder nicht konzentrierten Fruchtsaft enthalten, wenn dies jeweils geschieht wie in Anlagen B, D, F, H, I, K und/oder Anlage M und/oder, e) gekochtes Dattelsaftkonzentrat wie geschehen in Anlage K enthalten und/oder, f) Fruchtextrakte enthalten, wenn dies jeweils geschieht wie in Anlagen G, Anlage L“.

Streitig ist, ob nach diesem Antrag auch der (weitere) Vorwurf, die Beklagte täusche (auch) darüber, der Essig sei nicht aus den namensgebenden Zutaten gewonnen worden, Streitgegenstand ist. Das OLG verneint die Frage. Ferner meint es, auch der Vorwurf, die angegriffenen Produkte enthielten hauptsächlich Traubenmost und vor allem Fruchtpüree sowie Fruchtsaftkonzentrat, sei von den Klageanträgen nicht erfasst.

Entscheidung: Dies sieht der BGH anders!

Der Streitgegenstand werde durch den Klageantrag, in dem sich die von der Klagepartei in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiere, und den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem die Klagepartei die begehrte Rechtsfolge herleite. Der Streitgegenstand einer Unterlassungsklage werde dementsprechend nicht nur durch das im Antrag umschriebene Klageziel bestimmt, sondern auch durch den Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleite.

Richte sich die Klage, wie hier, gegen eine konkrete Verletzungsform, so sei zwar in dieser Verletzungsform der Lebenssachverhalt zu sehen, durch den der Streitgegenstand bestimmt werde. Zum Gegenstand eines solchen Klageantrages gehöre aber auch der Lebenssachverhalt, mit dem das Klagebegehren begründet werde. Würden in der Klage zur Begründung der Wettbewerbswidrigkeit einer beanstandeten Anzeige über die abstrakte Darstellung im Antrag hinaus weitere Sachverhalte vorgetragen, gehörten sie mithin ebenfalls zum Streitgegenstand.

Praxishinweis

Das Berufungsgericht dürfte den Unterlassungsantrag mit Blick darauf, dass dieser einzelne Beanstandungen in verschiedenen Klageanträgen jeweils unter Bezugnahme auf die konkreten Verletzungsformen umschreibt, dahin ausgelegt haben, K habe damit eine Verurteilung allein unter diesen Gesichtspunkten erreichen wollen. Diesem Denken erteilt der BGH eine Absage! Dennoch sollte der Antrag in der Praxis besser die Beanstandungen enthalten. Denn der BGH ist sehr großzügig. Tatsächlich kann man es wohl auch anders sehen. Denn geht es nicht um den Lebenssachverhalt, der gerade dem Antrag zugrunde liegt? Kann es einen Lebenssachverhalt neben dem Antrag geben, der sich nicht im Antrag ausdrückt?

Im Fall waren diesen Fragen allerdings nicht zu beantworten. Denn es lag jedenfalls ein Gehörsverstoß vor (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das OLG hätte auf seine vom LG abweichende Auslegung der Klageanträge wenigstens hinweisen müssen! Die betroffene Partei muss Gelegenheit erhalten, ihren Sachantrag klarzustellen und ggf. den Bedenken des erkennenden Gerichts anzupassen (BGH NJW-RR 2010, 1363 Rn. 3). Ein solcher Hinweis wäre auch nicht entbehrlich gewesen, weil der Kläger von der Gegenseite die gebotene Unterrichtung erhalten hätte (BGH GRUR 2020, 292 Rn. 14). Ein erstinstanzlicher Hinweis der Beklagten wäre jedenfalls nach dem insoweit abweichenden Urteil des LG nicht mehr geeignet gewesen, einen gerichtlichen Hinweis zu ersetzen.

BGH, Beschluss vom 23.02.2023 - I ZR 127/22 (OLG München), GRUR-RS 2023, 11347