Interview

Straf­ver­fol­gung von Hass­kri­mi­na­li­tät
Interview
Foto_Interview_NJW_20_2021_Benjamin_Krause_WEB
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An­fang April ist ein Ge­set­zes­pa­ket gegen Hass und Hetze im Netz in Kraft ge­tre­ten. Es ent­hält deut­li­che Straf­schär­fun­gen und eine Pflicht so­zia­ler Netz­wer­ke zur Mel­dung von „Hate Speech“ an das Bun­des­kri­mi­nal­amt. Wird damit der Kampf gegen Hass­kri­mi­na­li­tät ver­bes­sert? Hier­zu haben wir Ober­staats­an­walt Dr. Ben­ja­min Krau­se von der Zen­tral­stel­le zur Be­kämp­fung der In­ter­net­kri­mi­na­li­tät (ZIT) bei der Ge­ne­ral­staats­an­walt­schaft Frank­furt a.M. be­fragt.

19. Mai 2021

NJW: Die Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­rin hat zum neuen Ha­te­Speech-Ge­setz ge­sagt, es gebe „der Jus­tiz die not­wen­di­gen In­stru­men­te, um gegen Hass­kri­mi­na­li­tät end­lich kon­se­quent vor­ge­hen zu kön­nen“. Ist das so?

Krau­se: Nein, min­des­tens ein wich­ti­ger Schritt fehlt noch für ein kon­se­quen­tes Vor­ge­hen. Die so­zia­len Netz­wer­ke wer­den ab Fe­bru­ar 2022 zwar ver­pflich­tet, straf­recht­lich re­le­van­te Pos­tings nicht nur zu lö­schen, son­dern den ge­lösch­ten In­halt mit­samt der zu­letzt ge­nutz­ten IP-Adres­se ihrer Nut­zer an das Bun­des­kri­mi­nal­amt zu mel­den. Diese IP-Adres­sen wer­den bei den In­ter­net­zu­gangs­pro­vi­dern aber auf­grund der aus­ge­setz­ten „Vor­rats­da­ten­spei­che­rung“ nicht oder nur we­ni­ge Tage ge­spei­chert. Ohne eine auch nur kurz­fris­ti­ge Spei­che­rung sind diese IP-Adres­sen für die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den oft­mals schlicht wert­los, weil damit nicht auf die An­schluss­in­ha­ber des In­ter­net­zu­gangs ge­schlos­sen wer­den kann und eine Iden­ti­fi­zie­rung der Täter schei­tert. Der Er­folg der Mel­de­pflicht wird daher – ohne wei­te­re Schrit­te – aus­schlie­ß­lich von der frei­wil­li­gen Ko­ope­ra­ti­ons­be­reit­schaft der so­zia­len Netz­wer­ke zur Her­aus­ga­be wei­te­rer Daten ihrer Kun­den ab­hän­gen.

NJW: Und ko­ope­rie­ren die Platt­for­men?

Krau­se: Das ist der­zeit ganz un­ter­schied­lich. Wäh­rend You­Tube, Face­book oder In­sta­gram bei ein­zel­nen Straf­ta­ten wie Volks­ver­het­zung oder Be­dro­hung hin­sicht­lich be­stimm­ter Kun­den­da­ten grund­sätz­lich ko­ope­ra­tiv sind, leh­nen Twit­ter oder Te­le­gram bei Hate Speech eine Ko­ope­ra­ti­on ka­te­go­risch ab. Dabei er­ge­ben sich aus den bei allen Platt­for­men vor­lie­gen­den Kun­den­da­ten, wie etwa den zur Re­gis­trie­rung ge­nutz­ten E-Mail-Adres­sen oder Mo­bil­ruf­num­mern, sehr wert­hal­ti­ge Er­mitt­lungs­an­sät­ze zur Iden­ti­fi­zie­rung. Da diese Daten je­doch von den Platt­for­men nicht in Deutsch­land ge­spei­chert wer­den, kann die Her­aus­ga­be nicht auf der Grund­la­ge der StPO er­zwun­gen wer­den. Der Ge­setz­ge­ber hat sich zudem aus­drück­lich da­ge­gen ent­schie­den, dass diese Daten auch von der Mel­de­pflicht bei Hate Speech um­fasst wer­den.

NJW: Wie läuft die Er­mitt­lung in sol­chen Fäl­len ty­pi­scher­wei­se ab?

Krau­se: Die ent­schei­den­de Frage ist immer, ob in dem kon­kre­ten Fall grund­sätz­lich Ko­ope­ra­ti­ons­be­reit­schaft der Platt­form be­steht. Dann ver­su­chen wir auch, die von den Platt­for­men zur Ver­fü­gung ge­stell­ten Kun­den­da­ten zu be­kom­men und diese Er­mitt­lungs­an­sät­ze wei­ter zu ver­fol­gen. Wenn dies je­doch nicht zum Er­folg führt oder wenn von An­fang an keine Ko­ope­ra­ti­ons­be­reit­schaft be­steht, dann bleibt uns nur noch die Mög­lich­keit, durch auf­wän­di­ge In­ter­net­re­cher­chen im je­wei­li­gen Ein­zel­fall Iden­ti­fi­zie­rungs­an­sät­ze zu fin­den, bei­spiels­wei­se in den ei­ge­nen An­ga­ben der Nut­zer, in ge­pos­te­ten Tex­ten oder ver­brei­te­ten Bil­dern.

NJW: Das ist sehr viel Auf­wand für sol­che De­lik­te.

Krau­se: Das ist rich­tig – vor allem, wenn man be­denkt, dass eine Da­ten­aus­kunft von You­Tube, Face­book oder In­sta­gram zu­nächst ein­mal nur Er­mitt­lungs­an­sät­ze lie­fert und die ent­spre­chen­den Er­mitt­lungs­schrit­te zur Iden­ti­fi­zie­rung, wie bei­spiels­wei­se zur Nut­zung einer E-Mail-Adres­se, oft­mals er­folg­los blei­ben.

NJW: Sie sind eine spe­zia­li­sier­te und gut aus­ge­stat­te­te Schwer­punkt­staats­an­walt­schaft. Wie sieht es bei Ihren Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus? Sind sie in der Lage, Hass­kri­mi­na­li­tät flä­chen­de­ckend zu ver­fol­gen?

Krau­se: Auf jeden Fall. In vie­len Bun­des­län­dern sind mitt­ler­wei­le spe­zia­li­sier­te Stel­len für Hate Speech bei den Staats­an­walt­schaf­ten ge­schaf­fen wor­den. Das ist nicht nur wich­tig, damit sich die zen­tra­len An­sprech­stel­len der Bun­des­län­der un­ter­ein­an­der ver­net­zen und ab­stim­men kön­nen. Vor allem wird damit Hate Speech auch eine hö­he­re Wert­schät­zung bei den Staats­an­walt­schaf­ten bei­ge­mes­sen.

NJW: Was könn­ten die Staats­an­walt­schaf­ten in die­sem Be­reich noch bes­ser ma­chen?

Krau­se: Ich denke schon, dass zu dem Thema Hate Speech eine Art „Kul­tur­wan­del“ statt­fin­den muss. Ich selbst habe noch An­fang 2019 Hate Speech eher als „Klein­kri­mi­na­li­tät“ an­ge­se­hen und muss­te erst ler­nen, dass Hass­kri­mi­na­li­tät im Netz die Opfer viel in­ten­si­ver be­trifft als etwa Äu­ße­run­gen auf der Stra­ße oder in der Bahn und dass Hate Speech viel stär­ke­re Aus­wir­kun­gen dar­auf hat, dass Men­schen sich aus Dis­kus­sio­nen zu­rück­zie­hen. Auf­grund die­ser viel stär­ke­ren Rechts­guts­be­ein­träch­ti­gung soll­te die­sen Fäl­len eine hö­he­re Prio­ri­tät ein­ge­räumt wer­den als bis­lang bei den Off­line-Äu­ße­rungs­de­lik­ten. Zu die­sem „Kul­tur­wan­del“ ge­hört mei­ner Mei­nung auch, dass Grund­satz­ur­tei­le des BGH aus den 1980 er Jah­ren nicht ohne Wei­te­res auf Äu­ße­run­gen bei Face­book über­tra­gen wer­den kön­nen, son­dern dass ver­sucht wird, die ana­lo­gen Straf­tat­be­stän­de ent­spre­chend „mo­dern“ aus­zu­le­gen – auch wenn dies mit einem hohen Ar­gu­men­ta­ti­ons­auf­wand ver­bun­den ist.

NJW: In wie vie­len Fäl­len kön­nen Sie Täter er­mit­teln?

Krau­se: In den in mei­nem Team ge­führ­ten Er­mitt­lungs­ver­fah­ren, die zu einem ganz we­sent­li­chen Teil auf der Ko­ope­ra­ti­on mit der Zi­vil­ge­sell­schaft be­ru­hen, konn­ten wir in etwa einem Drit­tel der Fälle die Ur­he­ber iden­ti­fi­zie­ren – im­mer­hin.

NJW: Mit wel­chen Tä­tern haben Sie es dann zu tun?

Krau­se: Nach un­se­ren Er­fah­run­gen gibt es grund­sätz­lich zwei Arten von Tä­tern. Ei­ner­seits die „In­flu­en­cer“, die in ent­spre­chen­den Grup­pen immer wie­der The­men in Bezug auf kon­kre­te „Feind­bil­der“ set­zen und an­de­re Per­so­nen aus­drück­lich zu Kom­men­ta­ren auf­for­dern. Und an­de­rer­seits die Per­so­nen, die sich von den dann fol­gen­den Kom­men­ta­ren an­de­rer Per­so­nen zu Hass­kom­men­ta­ren be­ein­flus­sen und quasi an­hei­zen las­sen. Ge­ra­de diese Per­so­nen sind sehr oft noch nie zuvor straf­recht­lich in Er­schei­nung ge­tre­ten.

NJW: Kommt es dann immer zu Straf­be­feh­len oder An­kla­gen?

Krau­se: Ich kann dabei nur für mein Team spre­chen. Unser Ziel ist es vor­ran­gig, dass wir die Be­schul­dig­ten über die straf­recht­li­chen Gren­zen und auch die Ge­fah­ren von Hate Speech in­for­mie­ren und – ähn­lich wie in einem Ju­gend­straf­ver­fah­ren – eine Art er­zie­he­ri­sche Wir­kung zum Zweck der Ver­hin­de­rung er­neu­ter Taten er­rei­chen. Wenn wir die­ses Ziel im je­wei­li­gen Ein­zel­fall er­reicht haben, sind Straf­be­feh­le oder An­kla­gen für uns nicht zwin­gend not­wen­dig. Bei schwer­wie­gen­den Fäl­len, of­fen­sicht­lich un­ein­sich­ti­gen Be­schul­dig­ten oder Wie­der­ho­lungs­tä­tern da­ge­gen na­tür­lich schon.

NJW: Mit der No­vel­le sind die Straf­rah­men deut­lich er­höht wor­den. Bringt das etwas?

Krau­se: In der Pra­xis haben wir bis­lang – etwa bei der Ver­schär­fung des Straf­rah­mens für den Be­sitz von Kin­der­por­no­gra­fie im Jahr 2015 – die Er­fah­rung ge­macht, dass Straf­rah­men­ver­schär­fun­gen bei den Ge­rich­ten oft­mals nicht un­mit­tel­bar zu hö­he­ren Stra­fen füh­ren. Wich­ti­ger als die abs­trak­te Er­hö­hung des Straf­rah­mens dürf­te auch in­so­weit im Rah­men der Straf­zu­mes­sung ein Ver­ständ­nis für die Aus­wir­kun­gen auf die Be­trof­fe­nen und für die all­ge­mei­nen Ge­fah­ren von Hate Speech sein.

NJW: Auch die EU will Hate Speech bes­ser be­kämp­fen, etwa mit dem Di­gi­tal Ser­vices Act. Wie be­ur­tei­len Sie das Vor­ha­ben?

Krau­se: Der Di­gi­tal Ser­vices Act hat ja kei­nen straf­recht­li­chen Schwer­punkt, son­dern soll unter an­de­rem ein­heit­li­che Re­ge­lun­gen zur Mel­dung und Lö­schung il­le­ga­ler In­hal­te auf On­line-Platt­for­men schaf­fen. Als Straf­ver­fol­ger ste­hen mir da­ge­gen die be­reits län­ger dis­ku­tier­ten Re­ge­lun­gen der EU unter dem Schlag­wort „e-evi­dence“ zu eu­ro­pa­wei­ten Her­aus­ga­be- und Si­che­rungs­an­ord­nun­gen für elek­tro­ni­sche Be­weis­mit­tel wie etwa Kun­den­da­ten bei so­zia­len Netz­wer­ken na­tür­lich näher. Dies wäre aus mei­ner Sicht der zwei­te wich­ti­ge Schritt für ein kon­se­quen­tes Vor­ge­hen gegen Hate Speech – bis Fe­bru­ar 2022 ist ja noch etwas Zeit. •

Ober­staats­an­walt Dr. Ben­ja­min Krau­se ist seit 2012 bei der Ge­ne­ral­staats­an­walt­schaft Frank­furt a.M. in der ZIT tätig und deren stell­ver­tre­ten­der Lei­ter. Er ist Lehr­be­auf­trag­ter an der Phil­ipps-Uni­ver­si­tät Mar­burg und Mit­glied des Rats für Di­gi­tal­ethik der hes­si­schen Lan­des­re­gie­rung.

Interview: Tobias Freudenberg.