Urteilsanalyse
Strafrechtliche Verantwortlichkeit der Klinikleitung für Tötungsdelikte durch ehemaligen Mitarbeiter
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Angehörige der Klinikleitung, die in ihrem Arbeitszeugnis für einen Mitarbeiter konkrete Verdachtsmomente verschweigen, dass dieser im Rahmen seiner Tätigkeit Patienten des Klinikums getötet hat, sind nach einem Beschluss des OLG Oldenburg strafrechtlich nicht verantwortlich, wenn der gleiche Mitarbeiter in einem späteren Klinikum erneut Tötungsdelikte begeht.

5. Okt 2021

Anmerkung von 
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Sebastian Braun, LEX MEDICORUM, Kanzlei für Medizinrecht, Leipzig
 
Aus beck-fachdienst Medizinrecht 10/2021 vom 01.10.2021

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Sachverhalt

Bei den Angeschuldigten handelte es sich um Angehörige der Leitung eines Klinikums, in dem der Krankenpfleger N.H. beschäftigt gewesen ist. Dieser hatte während seiner Tätigkeit in dem Klinikum mehreren Patienten tödliche Medikamentendosen verabreicht. Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass die Angeschuldigten hiervon Kenntnis hatten, jedoch - um kein Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen - nicht einschritten und damit die Begehung weiterer Taten billigend in Kauf genommen hätten. In der Folge wurde – um die Angelegenheit weiterhin zu verbergen - dem Pfleger auch ein positives Zwischenzeugnis zu Bewerbungszwecken ausgehändigt. Aufgrund dessen wurde er auch in einem anderen Klinikum angestellt, in dem es zu neuen Tötungsfällen kam. Allerdings informierten die Angeschuldigten die Klinikleitung des neuen Krankenhauses nicht darüber, dass der Pfleger mehrere Patienten getötet hatte bzw. hierfür maßgebliche Verdachtsmomente bestanden. Dies wurde auch im Arbeitszeugnis nicht erwähnt. Die Staatsanwaltschaft wertete dies als Totschlag durch Unterlassen. Die Anklage wurde jedoch insoweit durch das Landgericht Oldenburg verworfen, wogegen die Staatsanwaltschaft Beschwerde einlegte.

Entscheidung

Das OLG Oldenburg gelangt zu dem Ergebnis, dass sich keine strafrechtliche Verantwortlichkeit aus einem Unterlassen ergebe. Insoweit fehle es maßgeblich an einer strafbewehrten Garantenstellung sowie am erforderlichen Pflichtwidrigkeitszusammenhang.

Zunächst stellt das OLG klar, dass eine Garantenstellung nicht aus dem Nichtanzeigen geplanter Straftaten gemäß § 138 StGB folge. Schließlich war nicht erwiesen, dass die Angeschuldigten von den Straftaten im zweiten Klinikum vorab Kenntnis hatten. Zudem begründe § 138 StGB per se keine Garantenstellung im Sinne des § 13 StGB, sondern maximal eine Warnpflicht.

Ferner folge die Garantenstellung auch nicht aus einer vertraglichen und/oder tatsächlichen Übernahme für die Gewähr eines Rechtsguts. Zwar müsse im Rahmen eines Behandlungsverhältnisses alles unternommen werden, um potenzielle Schäden von den Patienten abzuwenden. Allerdings bestand ja gerade - im Hinblick auf das 2. Klinikum -  kein Behandlungsverhältnis zwischen den Angeschuldigten und den dort verstorbenen Patienten. Ferner fehle es auch an einer Garantenstellung, die sich aus dem Konstrukt der Geschäftsherrenhaftung ergebe. Diese beschränke sich auf die Verhinderung betriebsbezogener Straftaten. Hiervon sind gerade nicht solche Taten erfasst, die bei der Gelegenheit der betrieblichen Arbeit begangen werden.

Zudem schließt das OLG auch eine strafrechtlich relevante Garantenstellung aus Ingerenz aus. Eine solche ergibt sich regelmäßig aus einem pflichtwidrigen Vorverhalten, wenn dieses den Erfolgseintritt verursacht. Doch selbst wenn man das Verschweigen der Vorgänge im Arbeitszeugnis als pflichtwidriges Vorverhalten betrachten würde, fehle es zumindest am Sorgfaltspflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen dem für N. H. erstellten Arbeitszeugnis und den von ihm im nachfolgenden Klinikum durchgeführten Taten.

Praxishinweis

Das OLG Oldenburg hat sich bereits in der Vergangenheit mit diesem Themenkomplex – u.a. zur Strafbarkeit der Stellvertreter der Stationsleitung (OLG Oldenburg, medstra 2019, 101; hierzu Dann, medstra 2019, 1 ff.), - befasst. Die nunmehr sehr ausführlich begründete Entscheidung – die vorliegend nur in Auszügen wiedergegeben werden kann – stellt einen entscheidenden dogmatischen Wegweiser auf dem Gebiet der medizinstrafrechtlichen Haftung dar. In der Praxis liest und erlebt man, dass aus dem Vorwurf eines etwaigen Unterlassens nicht selten vorschnell auf die Verwirklichung des Straftatbestandes geschlossen wird. Einer solchen Betrachtung hat das OLG den Riegel vorgeschoben, in dem es u.a. entscheidend auf den zumindest fehlenden Sorgfaltspflichtwidrigkeitszusammenhang abstellt. Dieser kann nur bejaht werden, wenn durch die Pflichtverletzung ein solches Gebot umgangen wird „das gerade dem Schutz des konkret gefährdeten Rechtsguts zu dienen bestimmt ist“ (Rn. 98). Dies ist aber vorliegend nicht der Fall, da die Verpflichtung zur Erstellung eines vollumfänglichen Arbeitszeugnisses arbeitsrechtliche Interessen betrifft und nicht dem Schutz von Dritten dient.

OLG Oldenburg, Beschluss vom 23.07.2021 - 1 Ws 190/21 (LG Oldenburg), BeckRS 2021, 21880