Urteilsanalyse
Strafbarkeit von AGG-Hopping
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In der Versendung eines Geltendmachungsschreibens auf Schadensersatz nach Bewerbung auf eine AGG-widrig ausgeschriebene Stellenanzeige liegt nach Meinung des BGH nicht ohne Weiteres eine versuchte Täuschung des potentiellen Arbeitgebers über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung, auch wenn der Bewerber von Anfang an darauf spekuliert hat, nach der zu erwartenden Absage Entschädigung nach dem AGG verlangen zu können.

14. Okt 2022

Anmerkung von
RA Prof. Dr. Martin Diller, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 39/2022 vom 06.10.2022

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Sachverhalt

Ein knapp 45-jähriger Mann bewarb sich in den Jahren 2011 und 2012 in mindestens 12 Fällen auf Stellenangebote, die nicht § 11 AGG entsprachen, insbesondere wandten sich diese Stellenangebote unzulässigerweise nur an bestimmte Altersgruppen oder an Frauen. Nach der Ablehnung beauftragte der Mann seinen Bruder, einen Rechtsanwalt, mit der Geltendmachung von Entschädigung wegen Diskriminierung nach dem AGG. In allen 12 Fällen blieben die außergerichtlichen Bemühungen ohne Erfolg, worauf der Anwalt Klage erhob und in 10 Fällen einen Zahlungsvergleich erreichte.

Das LG München I verurteilte den Rechtsanwalt wegen versuchten oder vollendeten Betrugs in allen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 16 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Richter gingen davon aus, dass der Bruder lediglich Scheinbewerbungen versandt hatte, um eine Ablehnung zu provozieren und dann entsprechend einem vorher gefassten Plan seinen Bruder Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend machen zu lassen.

Entscheidung

Die Revision des verurteilten Anwalts hatte Erfolg. Der BGH hob die Schuldsprüche in allen 12 Fällen auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung an eine andere Kammer des LG zurück. Insbesondere beanstandete der BGH die Unterstellung des LG, in den Bewerbungsschreiben ebenso wie in der außergerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatz habe eine Täuschung der Adressaten über die Ernsthaftigkeit der Bewerbungen gelegen. Der BGH war der Auffassung, dass der Anwalt insoweit keine falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe, weil er in seinen Geltendmachungsschreiben nicht auf die Motivation der Bewerbungen eingegangen war. Auch eine konkludente Täuschung sei nicht gegeben, da nicht jeder Arbeitgeber in ein Geltendmachungsschreiben die Behauptung hineininterpretiere, die vorangegangene Bewerbung sei ernsthaft gewesen. Eine allgemeine Erwartung, die andere Partei werde sich redlich verhalten, kenne der Rechtsverkehr nicht. Gerügt wurde vom BGH auch die Wertung des LG, die Geltendmachung der Entschädigungsforderungen habe auf Arbeitgeberseite einen Irrtum bewirkt. Auch dies hätte das LG ohne genauere Tatsachenfeststellungen nicht unterstellen dürfen. Schließlich habe das LG auch nicht begründet, dass schon in der Versendung der außergerichtlichen Anspruchsschreiben ein strafbarer Versuch und nicht nur eine straflose Vorbereitungshandlung gelegen habe; immerhin sei in keinem der 12 Fälle bereits eine Zahlung auf die Anspruchsschreiben erfolgt.

Denkbar sei, dass der Anwalt in den Arbeitsgerichtsverfahren gegen seine Wahrheitspflicht aus § 138 I ZPO verstoßen habe. Dazu habe das LG jedoch keinerlei Feststellung getroffen.

Praxishinweis

Der Beschluss des BGH mag dogmatisch richtig sein, hinterlässt allerdings einen faden Beigeschmack. Das Brüderpaar gelangte in den Jahren nach Inkrafttreten des AGG zu bundesweiter Bekanntheit und initiierte eine dreistellige Zahl von Entschädigungsverfahren nach dem AGG, was sogar zu einem Interview im „SPIEGEL“ führte. Mit den vom AGG intendierten Schutz benachteiligter Minderheiten hatte all das natürlich nichts zu tun, sondern darin lag schlicht Missbrauch des vorhandenen gesetzlichen Instrumentariums. Wenn der BGH nun meint, ein solcher Missbrauch führe noch nicht automatisch zur Strafbarkeit wegen Betruges, mag das so sein. Allerdings bleibt die Verteidigung gegen solchen Missbrauch auch zivilrechtlich schwierig. Bemerkenswert ist allerdings, dass das BAG unlängst in einem Diskriminierungsverfahren, in dem das LAG den Missbrauchseinwand nicht weiter problematisiert hatte, von sich aus das LAG-Urteil aufhob mit der Begründung, es habe offensichtlich ein Fall von missbräuchlichen AGG-Hopping vorgelegen (BAG, FD-ArbRAktuell 2022, 451283).


BGH, Beschluss vom 04.05.2022 - 1 StR 138/21 (LG München I), BeckRS 2022, 22840