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Mutterschutz auch nach einer Fehlgeburt?
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Mit der Entschließung 289/24 vom 5.7.​2024 hat der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, einen gestaffelten Mutterschutz bei Fehlgeburten einzuführen. Eine gesetzliche Änderung müsste dabei neben dem Mutterschutzgesetz (MuSchG) auch das Personenstandsrecht (PStG und PStV) und das Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) im Blick haben.

24. Sep 2024

Bereits der Koalitionsvertrag der „Ampel“ legt fest, dass es den Mutterschutz künftig auch nach einer Fehlgeburt nach der 20. Schwangerschaftswoche geben soll. Eine gesetzliche Änderung steht bislang aus, obwohl dem Bundestag die Petition 136221 vom 15.7.2022 zu den sogenannten Sternenkindern vorliegt, Expertinnen im Fachgespräch mit dem Ausschuss für Familie und Jugend des Bundestags am 10.5.2023 einen besseren Mutterschutz nach einer Fehlgeburt gefordert haben (hib 347/2023) und das Bundesfamilienministerium eine umfassende Prüfung zugesagt hat. Der erwähnte Bundesratsbeschluss verstärkt den Druck auf die Bundesregierung, tätig zu werden. Dies gilt auch mit Blick auf die seit November 2022 beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden, die im fehlenden Mutterschutz bei einer Fehlgeburt eine Verletzung der Art. 3 I und 6 IV GG sehen.

Bisherige Rechtslage

Der Mutterschutz, hier speziell die Mutterschutzfrist von acht bzw. zwölf Wochen nach Geburt eines Kindes iSv § 3 II MuSchG, knüpft an die „Entbindung“ an. Dieser Begriff ist im MuSchG nicht definiert. § 31 II PStV grenzt in diesem Zusammenhang die Fehl- von der Totgeburt ab, denn nur ein totgeborenes Kind wird im Geburtenregister nach § 21 II PStG eingetragen. Eine Totgeburt ist nach § 31 II 1 Nr. 1 PStV gegeben, wenn das Gewicht des Kindes bei der Geburt entweder mindestens 500 Gramm betragen hat oder aber nach § 31 II 1 Nr. 2 PStV zumindest die 24. Schwangerschaftswoche erreicht wurde. In allen anderen Fällen handelt es sich um eine Fehlgeburt, die nicht zu beurkunden ist. Betroffene Eltern haben nur die Möglichkeit, für ihr Kind nach § 21 II PStG iVm § 31 II 3 und 4 PStV vom Standesamt eine Bescheinigung nach Maßgabe des § 21 I PStG zu erhalten. Diese personenstandsrechtlichen Möglichkeiten ändern aber nichts daran, dass die zum 1.1.2018 erfolgte Reform des MuSchG die arbeitsrechtlichen Folgen einer Fehlgeburt nur beim Kündigungsschutz in § 17 I 1 Nr. 2 MuSchG gelöst hat. Die Mutterschutzfrist nach der Geburt ist im neugefassten MuSchG unangetastet geblieben. Auf diese Frist, die durch das Mutterschaftsgeld der Krankenkasse sowie den Arbeitgeberzuschuss zu 100 % finanziell abgesichert ist, kann die Frau nicht verzichten, es sei denn, sie hat ein Kind tot geboren (vgl. § 3 IV MuSchG). Liegt dagegen eine Fehlgeburt vor, müsste die Frau unmittelbar nach der Geburt wieder arbeiten. Dies ist vielen Frauen nicht zumutbar – sie sind in dieser Situation auf eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angewiesen. Das wiederum bedeutet, dass ihnen nach dem Auslaufen des sechswöchigen Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nur Krankengeld zusteht, das mit einer wirtschaftlichen Schlechterstellung gegenüber Frauen mit einer Totgeburt verbunden ist. Dies kollidiert mit Art. 3 I GG und stellt den Schutz- und Fürsorgeanspruch einer jeden Mutter iSv Art. 6 IV GG infrage. Zu bedenken ist außerdem, dass alle Arbeitgeber über das U 2-Umlageverfahren nach dem AAG einen Anspruch auf die komplette Erstattung ihrer Mutterschutzkosten gegenüber der Krankenkasse der Arbeitnehmerin haben und schon deshalb dem Mutterschutz weniger kritisch gegenüberstehen als einer arbeitsunfähigen Erkrankung.

Beschluss des Bundesrats

Die Einführung eines gestaffelten Mutterschutzes bei einer Fehlgeburt, der sich an der Länge der Schwangerschaft orientiert, ist vor diesem Hintergrund grundsätzlich gerechtfertigt. Allerdings stellt sich die Frage, ob es nicht zur Vermeidung von Brüchen im MuSchG besser wäre, die von § 3 II MuSchG vorgesehene Länge der Mutterschutzfrist nach der Geburt zu übernehmen. So hat der Gesetzgeber die Dauer des Kündigungsschutzes nach einer Fehlgeburt nach der 12. Schwangerschaftswoche gleichermaßen ausgestaltet wie den Kündigungsschutz nach der Geburt eines Kindes. Diese Konsistenz wäre auch für die Einführung des Mutterschutzes nach einer Fehlgeburt wünschenswert. Im Ergebnis muss der Gesetzgeber eine verfassungskonforme Regelung im MuSchG mit einem arbeitgeberseitigen Erstattungsanspruch der Mutterschutzkosten im AAG schaffen. Die Differenzierung zwischen Fehl- und Totgeburt in § 31 II PStV bedarf der Anpassung und sollte § 17 I 1 Nr. 2 MuSchG als Vorbild für eine Stichtagsregelung nehmen, dh Fehlgeburten nur bis zur zwölften Schwangerschaftswoche anzunehmen. 

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Prof. Bettina Graue ist Professorin für Recht in der Sozialen Arbeit an der Hochschule Bremen.