Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas J. Baumert, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Honorarprofessor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, Lehrbeauftragter an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht Wiesbaden, EBS Law School und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft
Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 19/2023 vom 28.09.2023
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Sachverhalt
Mit Schreiben vom 31.3.2023 erstattete die Schuldnerin beim Amtsgericht Nürnberg eine Anzeige gem. § 31 StaRUG. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 21.6.2023 wies das Amtsgericht Nürnberg einen Minderheitenschutzantrag gem. § 64 StaRUG zurück und bestätigte den durch die Schuldnerin am 8.5.2023 vorgelegten Restrukturierungsplan gem. § 60 Abs. 1 StaRUG.
Gegen den Restrukturierungsplan legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei durch den Ausschluss neuer Bezugsrechte verletzt. Der Restrukturierungsplan sei für ihn nachteilig, da er an der zukünftigen Entwicklung der Schuldnerin nicht teilhaben könne und einen Totalverlust habe. Das sehe er als Enteignung an. Der Beschwerde wurde seitens des Amtsgerichts Nürnberg – Restrukturierungsgericht – nicht abgeholfen. Das Landgericht verwirft die sofortige Beschwerde als unzulässig.
Entscheidung
Die Beschwerde gegen den Restrukturierungsplan sei als sofortige Beschwerde auszulegen. Sie sei zwar statthaft, jedoch nicht zulässig. Es fehle an den formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StaRUG. Danach müsse der Beschwerdeführer erstens dem Plan im Abstimmungsverfahren widersprochen haben, zweitens gegen den Plan gestimmt haben und drittens glaubhaft gemacht haben, dass er durch den Plan wesentlich schlechter gestellt werde, als er ohne Plan stünde und dass dieser Nachteil nicht durch eine Zahlung aus der in § 64 Abs. 3 StaRUG genannten Mitteln ausgeglichen werden könne (Beschluss, Rn. 18).
Es fehle bereits an einem Widerspruch des Beschwerdeführers im Abstimmungsverfahren. Auch habe der Beschwerdeführer die erforderliche materielle Beschwer weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Erforderlich sei die Glaubhaftmachung einer wesentlichen Schlechterstellung, eine voraussichtliche Schlechterstellung durch den Plan, wie dies Voraussetzung des § 64 Abs. 1 StaRUG sei, genüge nicht (Beschluss, Rn. 26).
In Anlehnung an die Auslegung des insoweit identischen § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO werde die Auffassung vertreten, dass es sich um eine mindestens 10%ige Schlechterstellung handeln müsse, wobei eine Mindestbeschwer von 600 EUR als erforderlich angesehen werde (Beschluss, Rn. 28 unter Hinweis auf Jungmann in MüKo StaRUG, 1. Aufl. 2023, § 66 Rn. 77 m.w.N.; Uhlenbruck/Knof, 16. Aufl. 2023, StaRUG § 66 Rn. 40, 41). Es müsse zudem eine Mindestbeschwer von 600 EUR als absolute Geringwertigkeitsschwelle überschritten werden, selbst dann, wenn der geringe absolute Betrag auch eine relative Schlechterstellung von über 10% begründe (Beschluss, Rn. 28 unter Hinweis auf Uhlenbruck/Knof, 16. Aufl. 2023, StaRUG § 66 Rn. 41; Sattler in Seibt/Westpfahl, StaRUG, 1. Aufl. 2023, § 66 Rn. 22).
Die sichere Schlechterstellung durch den Plan müsse sich im Vergleich zu einer Situation ohne den Plan ergeben. Hierbei sei aus den grundsätzlich relevanten Alternativszenarien dasselbe Vergleichsszenarium herauszugreifen wie bei § 64 StaRUG (Beschluss, Rn. 29 unter Hinweis auf Jungmann in MüKo StaRUG, 1. Aufl. 2023, § 66 Rn. 79; Uhlenbruck/Knof, 16. Aufl. 2023, StaRUG § 66 Rn. 40; Sattler in Seibt/Westpfahl, StaRUG, 1. Aufl. 2023, § 66 Rn. 21). Bei der Bewertung der wesentlichen Schlechterstellung seien zudem die für den Nachteilsausgleich bereitgestellten Mittel zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer müsse glaubhaft machen, dass er trotz Erhöhung der Werteallokation im Planszenario durch den Restrukturierungsplan im Vergleich zum Vergleichsszenario noch immer wesentlich schlechter gestellt sei (Beschluss, Rn. 30 unter Hinweis auf Jungmann in MüKo StaRUG, 1. Aufl. 2023, § 66 Rn. 81). Dies könne auch darauf gestützt werden, dass die Mittel der Höhe nach nicht ausreichen werden, um auch die Nachteile des Beschwerdeführers auszugleichen (Beschluss, Rn. 30 m.w.N.). Gemäß § 38 StaRUG müsse der Beschwerdeführer dazu in Verbindung mit § 294 ZPO Tatsachen vortragen und glaubhaft machen, aus denen sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit ergebe, dass sie zutreffen (Beschluss, Rn. 31 m.w.N. aus der BGH-Rechtsprechung).
Die Beschwerde genüge diesen Voraussetzungen nicht.
Praxishinweis
Eine Gleichsetzung des Erfordernisses der wesentlichen Schlechterstellung mit einer voraussichtlichen Schlechterstellung (§ 64 StaRUG) ist ausgeschlossen (vgl. statt aller Jungmann in MüKo StaRUG, 1. Aufl. 2023, § 66 Rn. 76), wie auch das Landgericht zutreffend betont.
Soweit jedoch das Landgericht Nürnberg-Fürth apodiktisch annimmt, es müsse kumulativ mindestens eine 10%ige Schlechterstellung vorliegen und in jedem Fall eine Beschwer von mehr als 600 EUR dargelegt werden, bleibt klarzustellen, dass dem Gesetzestext keine konkreten Anhaltspunkte entnommen werden können, wann die Wesentlichkeitsgrenze überschritten ist, so dass die 10%-Grenze nur als Richtschnur gelten kann (Braun/Fendel, StaRUG 1. Aufl. 2021, § 66 Rn. 9). Dies gilt richtigerweise auch für die 600 EUR-Grenze, (vgl. aber Jungmann in MüKo, StaRUG, 1. Aufl. 2023, § 66 Rn. 77), die offenbar der Beschwerregelung des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO für Berufungsverfahren entnommen wird.
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 17.07.2023 - 4 T 3814/23 (AG Nürnberg), BeckRS 2023, 17897