NJW: Manche sehen Geheimdienste als Gefahr für die Demokratie. Dabei agieren Sie weder im rechtsfreien Raum noch ohne Kontrolle. Warum gleichwohl diese Vorbehalte?
Kahl: Das ist ein vorwiegend deutsches Phänomen, das wohl zu einem großen Teil in unserer zweifelsohne problematischen Vergangenheit mit Gestapo und Stasi begründet liegt. Andere Länder wie etwa die USA, Großbritannien, Frankreich oder auch Israel sind stolz auf ihre Nachrichtendienste. Die vom Bundeskanzler festgestellte Zeitenwende ist eine gute Gelegenheit, um zu beweisen, dass der Bundesnachrichtendienst ein wesentliches Element unseres wehrhaften Rechtsstaats ist, in dem meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter streng nach Recht und Gesetz für die Sicherheit der Menschen in Deutschland arbeiten.
NJW: Welche Kontrollgremien überwachen den BND?
Kahl: Da ist zunächst die Fach- und Dienstaufsicht, die beim Bundeskanzleramt liegt. Die parlamentarische Kontrolle übt das Parlamentarische Kontrollgremium aus, dem wir regelmäßig in geheimen Sitzungen über unsere Arbeit berichten. Die G10-Kommission prüft und genehmigt Beschränkungsmaßnahmen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses durch alle drei Nachrichtendienste des Bundes. Der vor zwei Jahren neu eingerichtete Unabhängige Kontrollrat überprüft die technische Auslandsaufklärung des BND, indem er unter anderem die Rechtmäßigkeit der Anordnungen von strategischen Fernmeldeaufklärungsmaßnahmen und individuellen Aufklärungsmaßnahmen vor deren Vollzug kontrolliert. Die Einhaltung der für den BND geltenden datenschutzrechtlichen Vorschriften wird durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit kontrolliert.
NJW: Wenn es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihrer Behörde und einem der Kontrollgremien kommt, wie geht es dann weiter?
Kahl: Die dem Auftrag der jeweiligen Kontrollgremien zugrunde liegenden Gesetze definieren deutlich, wo der Spielraum des BND endet und wie weit die Befugnisse der Kontrollgremien gehen. Im Zweifelsfall müssten die Gerichte entscheiden. Aufgrund der klar abgesteckten Regeln geschieht das jedoch nur äußerst selten.
NJW: Was prädestiniert einen Juristen für die nachrichtendienstliche Tätigkeit im Allgemeinen und für die Leitung des BND im Besonderen?
Kahl: Juristen erlernen im Studium, wie sich die rechtliche Verfasstheit einer demokratischen Gesellschaft organisieren lässt. In diesem Rahmen agieren auch die deutschen Nachrichtendienste. Ein geschärftes Bewusstsein für Recht und Unrecht kann auch dem BND-Präsidenten dabei helfen, in kritischen Augenblicken die richtige und rechtsstaatlich gebotene Entscheidung zu treffen.
NJW: Mit welchen rechtlichen Fragen sind Ihre Juristen im Tagesgeschäft befasst?
Kahl: Wir haben ein eigenes Direktorat, das sich mit allen Fragen einer rechtskonformen Informationsbeschaffung, insbesondere der Qualitätssicherung der technischen Aufklärung, der Compliance und mit Controlling befasst. Außerdem arbeitet eine große Zahl meiner Expertinnen und Experten unseren verschiedenen Kontrollgremien zu, um keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit unseres Tuns aufkommen zu lassen und das politische Vertrauen in unsere Arbeit zu stärken. Zudem bearbeiten Juristinnen und Juristen beim BND sowohl speziell nachrichtendienstliche als auch allgemeine Rechtsangelegenheiten, wie sie überall im öffentlichen Dienst anfallen.
NJW: Und Sie?
Kahl: Ich beschäftige mich auch mit diesen Fragen, wenn sie politische oder dienstübergreifende Relevanz erlangen. Und ansonsten mit eher übergeordneten strategischen Fragen wie etwa dem Spannungsfeld zwischen dem geschriebenen Recht, das naturgemäß verzögert auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert, und der notwendigen Flexibilität und Agilität, die ein Nachrichtendienst besitzen muss, um gegnerischen Akteuren, die unsere Freiheit und Sicherheit bedrohen, rasch, wirkungsvoll und auf Augenhöhe begegnen zu können.
NJW: Gibt es rechtliche oder sonstige Grenzen für die Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten?
Kahl: Der BND arbeitet weltweit mit rund 450 Nachrichtendiensten in mehr als 160 Staaten zusammen, wobei die Intensität der Kooperationen sehr unterschiedlich ist. In der vernetzten und digitalisierten Welt von heute kann kein Nachrichtendienst seinen gesetzlichen Auftrag ohne den Austausch mit internationalen Partnern erfüllen. Und natürlich gelten auch für die internationalen Kooperationen der Nachrichtendienste bestimmte rechtliche Rahmenbedingungen. Zugleich sind wir aber, um die deutsche Bevölkerung zu schützen, geradezu verpflichtet, Warnhinweise vor Terroranschlägen etwa auch von solchen Diensten entgegenzunehmen, die ansonsten nicht den Kriterien westeuropäischer Rechtsstaatlichkeit entsprechen und auch keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegen.
NJW: Inwiefern haben der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie andere geopolitische Entwicklungen die geheimdienstliche Arbeit verändert?
Kahl: Wir erleben nach rund drei Jahrzehnten des Friedens in Europa gerade eine brutale Rückkehr des Krieges als Mittel der Politik, was den BND als einzigen zivilen, militärischen wie auch technischen Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik in besonderem Maße fordert. Allerdings sind die aggressiven Ambitionen Putins für den BND keine echte Überraschung, da sich diese mit unseren Beobachtungen und Erkenntnissen der letzten Jahre decken. Zugleich erleben wir schon seit mehreren Jahren eine zunehmende Spionageaktivität geopolitischer Gegenspieler wie Russlands und Chinas, denen die deutschen Sicherheitsbehörden abgestimmt und professionell entgegentreten müssen.
NJW: Braucht Ihre Behörde angesichts wachsender Konflikte und Bedrohungen mehr Befugnisse?
Kahl: Es geht hier nicht so sehr um ein Mehr oder Weniger an Befugnissen, sondern darum, dass die Befugnisse des BND so ausgestaltet sein müssen, dass wir unseren gesetzlichen Auftrag immer auf der Höhe der Zeit und der technischen Entwicklung zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erfüllen können.
NJW: Zu wenig reguliert, zu intransparent, lautet oft die Kritik am BND. Wieviel Regulierung und Transparenz verträgt die nachrichtendienstliche Tätigkeit?
Kahl: Seitdem es Nachrichtendienste gibt, bewegen sie sich immer in einem Spannungsfeld zwischen Geheimhaltung auf der einen sowie Kontrolle und Transparenz auf der anderen Seite. Die angemessene Balance ist auch im Falle des BND keine statische Größe, sondern muss im Lichte neuer Entwicklungen immer wieder neu austariert werden. Nur wenn unsere nachrichtendienstlichen Fähigkeiten und die Kontrolle unserer Arbeit in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, können wir unseren Job so machen, wie es die Bundesregierung von einem ihrer wichtigsten Sicherheitsdienstleister zu Recht erwartet.
NJW: Kein Interview mit einem Geheimdienstchef ohne eine Frage zu dem berühmtesten Agenten: Welche Karrierechancen hätte James Bond beim BND bzw. was könnte er dort noch lernen?
Kahl: Gute Chancen hätte er nur, wenn er lernen würde, dass die Möglichkeiten des deutschen Auslandsnachrichtendienstes aus gutem Grund rechtlich nicht grenzenlos sind. Das reicht dann zwar nicht für einen Spielfilm mit vielen Explosionen, wohl aber für die gesellschaftliche Legitimität unserer wertvollen Arbeit.
Dieser Inhalt ist zuerst in der NJW erschienen. Sie möchten die NJW kostenlos testen? Jetzt vier Wochen gratis testen inkl. Online-Modul NJWDirekt.