NJW: Urheberrechtsverletzungen lassen sich gerichtlich unterbinden. Warum noch diese Clearingstelle?
Nordemann: Leider geht es um eine stattliche Zahl von Webseiten, deren Geschäftsmodell auf klare und strafbare Urheberrechtsverletzungen ausgerichtet ist. Wir nennen sie „strukturell urheberrechtsverletzende Webseiten“. Das sind ca. 100–200 pro Jahr, in der Spitze möglicherweise sogar 250. Das würde mehrere hundert Gerichtsverfahren jährlich bedeuten. Die Gerichte waren bisher zurückhaltend, einstweilige Verfügungsverfahren zuzulassen, weil die strukturell urheberrechtsverletzenden Seiten häufig schon länger bekannt sind. Es müssten also jährlich mehrere hundert Hauptsacheverfahren geführt werden. Trotz klarer Verletzungen wäre das mit viel Zeit- und Kostenaufwand verbunden.
NJW: Worauf stützt die CUII ihre Legitimation?
Nordemann: Inhaber von Urheberrechten haben gegen Internetzugangsanbieter einen (zivilrechtlichen) Anspruch auf Sperrung von strukturell urheberrechtsverletzenden Webseiten, der letztlich auf EU-Recht (Art. 8 III Richtlinie 2001/29) zurückgeht. Die rechtlichen Voraussetzungen für einen solchen Anspruch müssen vorliegen. Die Clearingstelle prüft dies akribisch: Erstens durch einen hochkompetent besetzten Prüfausschuss und zweitens im Wege der Nachkontrolle durch die staatliche Bundesnetzagentur, die in Deutschland als Behörde für die Einhaltung der Regeln zur Netzneutralität zuständig ist. Erst wenn sie im Wege einer Stellungnahme in Textform bestätigt hat, dass die DNS-Sperre den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht, werden die beteiligten Internetzugangsanbieter diese einrichten. Für die in der Netzgemeinde bisweilen geäußerte Sorge, Sperranträge würden von der CUII „durchgewinkt“ oder Seiten würden „auf Verdacht“ gesperrt, besteht keine Veranlassung.
NJW: Kann ein Selbstregulierungsgremium großer Verbände und Provider unabhängig entscheiden?
Nordemann: Ja, warum nicht? Es kommt doch auf ausreichende Sicherungsmechanismen in der Ausgestaltung und die Besetzung der Selbstregulierung an. Die Entscheidungen des Prüfausschusses unterliegen nach der CUII-Verfahrensordnung keinen Weisungen der Verbände und Provider. Die Vorsitzenden sind frühere Richter des einschlägigen BGH-Urheberrechtssenats. Sie haben viele Jahre bewiesen, dass sie für unabhängige Entscheidungen stehen. Der außerdem beteiligten Bundesnetzagentur können sie als Behörde sowieso keine Weisungen erteilen.
NJW: Wer sitzt neben den Richtern noch in den Prüfausschüssen?
Nordemann: Die Beisitzer müssen ebenfalls zum Richteramt befähigt sein. Derzeit haben die Rechteinhaber und die Internetzugangsanbieter jeweils vier Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte benannt. Auch sie müssen nach der Verfahrensordnung unabhängig und weisungsfrei agieren.
NJW: Anhand welchen Prüfungsmaßstabs entscheidet die Clearingstelle?
Nordemann: Sie prüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für einen zivilrechtlichen Sperranspruch der Antragstellerin gegen die Internetzugangsanbieter gegeben sind. Die Prüfausschüsse setzen als Anspruchsgrundlage auf § 7 IV TMG analog in Verbindung mit Art. 8 III Richtlinie 2001/29 auf. Dabei beziehen sie die dafür vorliegende Rechtsprechung zum Beispiel des EuGH und des BGH mit ein. Die rechtlichen Voraussetzungen für einen Sperranspruch sind hoch: Rechteinhaber müssen glaubhaft machen, alle zumutbaren Maßnahmen gegenüber den Betreibern der Seite und deren Dienstleistern ergriffen zu haben, um die Rechtsverletzungen zu beenden. Erst wenn sich zeigt, dass all die ergriffenen Maßnahmen nicht zum Erfolg führen, besteht der Sperranspruch. Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, wird der Prüfausschuss keine Empfehlung für eine Sperre der Webseite abgeben. Die Bundesnetzagentur prüft ebenfalls, ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
NJW: Netzsperren betreffen die Freiheit der Kommunikation und Information im Netz. Müssen Eingriffe in so fundamentale Rechte nicht staatlichen Gerichten vorbehalten bleiben?
Nordemann: Aus guten Gründen müssen sich Richtervorbehalte entweder aus der Verfassung oder aus einfachem Recht ergeben. Einen Richtervorbehalt kennen die einschlägigen gesetzlichen Ansprüche auf Sperrung strukturell urheberrechtsverletzender Webseiten nicht. Der Wortlaut von Art. 8 III Richtlinie 2001/29 sagt lediglich, dass die Mitgliedstaaten gerichtliche Anordnungen „sicherstellen“, definiert also, was sie mindestens vorhalten müssen. Art. 8 III sagt aber gerade nicht, dass Ansprüche gegen Internetprovider immer und exklusiv gerichtliche Anordnungen voraussetzen. Deshalb sieht auch das deutsche Recht als Anspruchsgrundlage in § 7 IV TMG keinen Richtervorbehalt vor. Notwendig ist lediglich, dass alle betroffenen Grundrechte in ein angemessenes Gleichgewicht gebracht werden. Das muss natürlich gewährleistet sein. Auch die Nutzerrechte werden dabei beachtet. Es besteht aber kein Grundrecht der Internetnutzer, rechtswidrige Inhalte abrufen zu können, um das auch mal klar zu sagen.
NJW: Werden die Internetnutzer an den Verfahren beteiligt?
Nordemann: Der EuGH gibt in seiner Entscheidung UPC Telekabel (NJW 2014, 1577 Rn. 56) vor, den Internetnutzern zu ermöglichen, ihre Rechte nach Bekanntwerden der vom Anbieter getroffenen Sperrmaßnahmen vor Gericht geltend zu machen. Nach dem BGH (NJW 2016, 794 Rn. 57) genügt es, dass sie ihre Rechte gegenüber dem Internetzugangsanbieter auf der Grundlage des zwischen ihnen bestehenden Vertragsverhältnisses gerichtlich geltend machen können. Dieser Beschwerdemechanismus steht den Internetnutzern natürlich auch im Fall von DNS-Sperren zu, die über das CUII-Verfahren eingerichtet werden.
NJW: Wie können sich die betroffenen Webseitenbetreiber gegen die Sperren zur Wehr setzen?
Nordemann: Sie haben ein eigenes Beschwerderecht, das ohne Frist und kostenlos ist. Da es sich um eindeutige Verletzungen und damit um strafbare Geschäftsmodelle handelt, gehen wir allerdings derzeit nicht davon aus, dass sich Betreiber melden werden.
NJW: Mal grundsätzlich zu Netzsperren: Da schwingt ja immer auch der Vorwurf der Internetzensur mit?
Nordemann: Es handelt sich um eine DNS-Sperre von Webseiten, die ein urheberrechtlich strafbares Geschäftsmodell betreiben. Meines Erachtens hat das mit Zensur nichts zu tun. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, in dem grenzenlose Freiheit besteht und jeder nach Belieben Gesetze brechen kann. Ich denke, das ist in seriösen Kreisen Konsens. Das gewerbliche Anbieten von massenhaft urheberrechtsverletzenden Inhalten ist auch kein Fall einer schützenswerten Meinungsäußerung, wie das manchmal suggeriert wird.
NJW: Gilt nicht die Losung: Löschen statt Sperren?
Nordemann: Wo Löschen möglich ist, bleibt es die beste Lösung, weil es die Verletzung an der Quelle abstellt. Sperransprüche greifen auch nur, wenn es keine zumutbaren Möglichkeiten gibt, gegen die Betreiber und ihre Dienstleister vorzugehen. Das ist nach deutschem Recht eine gesetzliche Voraussetzung. Leider ist sie im Regelfall erfüllt. Das Internet bietet hervorragende Möglichkeiten für Betreiber urheberrechtlich illegaler Geschäftsmodelle, sich in der Anonymität zu verstecken und mit austauschbaren Dienstleistern im sichereren Ausland zu arbeiten. Die DNS-Sperren führen in diesen Fällen zumindest dazu, dass der Import dieser Webseiten nach Deutschland erschwert wird. Nutzer, die sich rechtmäßig verhalten wollen, werden daran erinnert, dass sie auf dem Weg dazu sind, rechtswidrige Inhalte abzurufen. Zahlen aus anderen EU Staaten zeigen, dass DNS-Sperren zu nennenswerten Rückgängen der Besuchszahlen von bis zu 75 % führen. •
Rechtsanwalt Prof. Dr. Jan Bernd Nordemann, LL.M. (Cambridge), ist namensgebender Partner der Kanzlei Nordemann in Berlin und Potsdam. Der Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht sowie für gewerblichen Rechtsschutz ist Honorarprofessor der Humboldt-Universität zu Berlin, juristischer Direktor des Erich-Pommer- Instituts in Potsdam sowie Chairman des Standing Committee „Copyright“ der Internationalen Vereinigung für geistiges Eigentum (AIPPI).