Urteilsanalyse
Schwere Erkrankung gewährt dem Mieter kein außerordentliches Kündigungsrecht
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In einem Gewerberaummietverhältnis rechtfertigt die Erkrankung des Mieters nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Rostock vom 09.07.2020 nicht die fristlose Kündigung der Miete.

21. Aug 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff
Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 15/2020 vom 13.08.2020

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Sachverhalt

Die Klägerin nimmt die unbekannten Erben des am 16.10.2017 verstorbenen freischaffenden Künstlers N. P. (nachfolgend Erblasser) auf Zahlung von Miete betreffend den Peilturm Arkona in Anspruch.

Die Klägerin und der Erblasser waren zuletzt durch einen befristeten Mietvertrag verbunden, der zum 31.12.2017 enden sollte. Der Vertrag enthielt zugleich Möglichkeiten einer Vertragsverlängerung. Die vereinbarte Miete betrug 2.707,25 EUR.

Im März 2017 kündigte der Erblasser gegenüber der Klägerin schriftlich das Mietverhältnis aufgrund seiner schweren Erkrankung, die ihm die Nutzung der Mieträume unmöglich mache, zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits erhebliche Mietrückstände aufgelaufen.

Mit Urteil vom 29.08.2019 hat das Landgericht Stralsund die unbekannten Erben als Beklagte verurteilt, an die Klägerin 16.243,50 EUR nebst Zinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.04.2017 sowie weitere 6.457,64 EUR nebst Zinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.04.2017 und weitere 1.000,00 EUR nebst Zinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.11.2017 zu zahlen. Wegen der Mieten für die Monate Mai bis Dezember 2017 hat es die Klage abgewiesen. Es hat in der Erklärung des Erblassers eine fristlose Kündigung gesehen, die im April wirksam geworden sei. Zu dieser sei der Erblasser aufgrund seiner schweren Erkrankung auch berechtigt gewesen.

Mit ihrer Berufung beantragt die Klägerin, die Beklagten zur weiteren Zahlung von 21.658,00 EUR nebst Zinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 2.707,25 EUR seit dem 06.05., 06.06., 06.07., 06.08., 06.09., 06.10., 06.11. und 06.12.2017 zu verurteilen.

Entscheidung

Die Berufung hat Erfolg.

Die unbekannten Erben nach N. P. schulden die vereinbarte monatliche Miete von jeweils 2.707,25 EUR auch für die Monate Mai bis Dezember 2017.

Der Erblasser habe das Mietverhältnis im März 2017 nicht wirksam fristlos kündigen können.

Gemäß § 543 Abs. 1 BGB könne eine Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liege vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden könne. § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB verlange eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Mietvertragsparteien und eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles. Bei dieser Abwägung sei zu beachten, dass die Störung des Vertragsverhältnisses, die den wichtigen Grund darstellen soll, regelmäßig aus dem Bereich des Kündigungsempfängers herrühren müsse. Schon hieran fehle es, da der Erblasser aufgrund seiner Erkrankung und nicht wegen einer aus der Sphäre der Klägerin stammenden Störung gekündigt habe.

Darüber hinaus müsse sich die Abwägung der beiderseitigen Interessen aber auch an dem gesetzlichen Leitbild des Mietrechtes ausrichten. Zu diesem gesetzlichen Leitbild gehöre es, dass der Mieter von Wohnraum im Falle einer ordentlichen Kündigung des Vermieters gemäß §§ 574 ff. BGB Härtegründe geltend machen könne, die ihn trotz wirksamer Kündigung zumindest für gewisse Zeit berechtigen, das Mietverhältnis fortzusetzen. Auf die fristlose Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB finden die §§ 574 ff. BGB allerdings keine Anwendung. Daher sei in die Abwägung des § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB bei einem Wohnraummietverhältnis der soziale Schutzgedanke einzubeziehen und zu berücksichtigen, ob eine fristlose Kündigung des Vermieters wegen Störungen des Vertragsverhältnisses durch den Mieter für den Mieter eine nicht hinzunehmende Härte bedeute, die u.a. auch in einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Mieters liegen könne. Auch dieser Gedanke könne auf das Gewerberaummietverhältnis nicht übertragen werden, da der soziale Schutz des Mieters der §§ 574 ff. BGB auf das Gewerberaummietverhältnis bereits keine Anwendung finde und somit nicht zu dessen gesetzlichen Leitbild gehöre. Zudem handle es sich vorliegend nicht um einen Fall, bei dem sich eine Kündigung des Vermieters für den Mieter gesundheitlich nachteilig auswirken könne, sondern um einen solchen, bei dem der Mieter das Mietverhältnis aufgrund seiner Erkrankung kündigen wolle.

Dagegen sei auch für das gewerbliche Mietverhältnis das Leitbild des § 537 BGB in die Beurteilung, ob ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vorliege, und damit in die Interessenabwägung einzubeziehen. Gemäß § 537 BGB werde der Mieter nicht dadurch von seiner Verpflichtung zur Zahlung der Miete frei, dass er durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Ausübung seines Gebrauchsrechts gehindert werde. Ein solcher in der Person des Mieters liegender Grund, der das Vertragsrisiko auf der Seite des Mieters ansiedle, sei auch dessen Gesundheitszustand. Daher rechtfertige jedenfalls in einem Gewerberaummietverhältnis die Erkrankung des Mieters nicht dessen fristlose Kündigung. Der Erblasser habe also aufgrund seiner Erkrankung und der dadurch für ihn gehinderten Gebrauchsmöglichkeit der Mietsache keinen wichtigen Grund i. S. d. § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB in Anspruch nehmen können; seine Kündigung sei daher unwirksam.

Sie könne auch nicht als eine wirksame ordentliche Kündigung ausgelegt werden. Es könne schon offenbleiben, ob die Erklärung des Erblassers überhaupt als eine ordentliche Kündigung auszulegen sei. Dem Erblasser sei nämlich gemäß § 542 BGB der Weg einer ordentlichen Kündigung nicht eröffnet gewesen, da die Parteien ein bis zum 31.12.2017 befristetes Mietverhältnis abgeschlossen hatten.

Praxishinweis

Das OLG Rostock folgt der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.07.2008 – I-24 W 53/08, ZMR 2009, 25; OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.06.2000, 24 – U 186/99, BeckRS 2000, 30116137; Weidenkaff in Palandt, 79. Auflage 2020, § 537, Rn. 4; Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Auflage 2019, § 543 BGB, Rn. 161), wonach im Gewerberaummietrecht eine Erkrankung des Mieters keinen wichtigen Grund i.S.d. § 543 BGB darstellt und damit nicht dessen fristlose Kündigung rechtfertigt.

Nach § 537 Abs. 1 BGB trägt nämlich der Mieter als Sachleistungsgläubiger das persönliche Verwendungsrisiko, und zwar gleichgültig, aus welchem Grunde er für langfristig angemietete Räume keine Verwendung mehr hat. Zu dem vom Mieter zu tragenden Risiko gehört deshalb auch der Erhalt seiner Gesundheit (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.07.2008 – I-24 W 53/08, BeckRS 2008, 19278); selbst sein Tod fällt in seinen Risikobereich, beendet also das Mietverhältnis nicht, sondern lässt es auf die Erben übergehen, §§ 542 Abs. 2, 1922, 1967 Abs. 2, Hs. 1 BGB (Weidenkaff in Palandt, aaO). Schließlich gilt auch die den Erben des Wohnungsmieters privilegierende Ausnahmebestimmung des § 564 Satz 2 BGB (außerordentliche Kündigung mit gesetzlicher Frist, aber nicht fristlos mangels Verweisung (vgl. § 578 Abs. 2 1 BGB) nicht im gewerblichen Mietrecht.

Möglicherweise könnte aber eine schwere Erkrankung zum Wegfall der Geschäftsgrundlage führen (Bub in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Auflage 2019, Kap. II Rn. 2094; zu einer Geisteskrankheit des Mieters: LG Köln, Urteil vom 10.01.1956 – 12 T 206/55, ZMR 1956, 304; aA Fleindl in Bub/Treier aaO, Kap IV Rn 412; LG Essen, Urteil vom 19.02.1963 – 12 S 299/62, ZMR 1967, 305), mit der Folge, dass eine Vertragspartei einen Anspruch auf Vertragsaufhebung hat.

OLG Rostock, Urteil vom 09.07.2020 - 3 U 78/19 (LG Stralsund), BeckRS 2020, 17538