NJW-Editorial
Schweigen oder Schreiben?
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Foto_Mirko_Moeller_WEB
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Gesetzgebung und Rechtsprechung zwingen immer häufiger dazu, auch dort zu schreiben, wo eigentlich Schweigen opportun wäre. Deshalb ist stets im Einzelfall abzuwägen, ob besser nicht reagiert wird oder es triftige Gründe für ein außergerichtliches Bestreiten gibt.

8. Jun 2023

In Zeiten elektronischer (Kurz-)Nachrichtendienste bleibt kaum eine Nachricht – und sei sie auch noch so unsinnig und belanglos – ohne Reaktion. Aber auch Unternehmen und Rechtsanwälte tun sich zuweilen schwer damit, Schreiben einfach „zur Akte“ zu nehmen. Dabei kann Schweigen mitunter heilende Wirkung haben. Auch im Rechts­leben dient so manches Schreiben eigentlich einem ganz anderen Zweck als dessen Buchstaben vorgeben: Der eine oder andere Anspruchssteller möchte beispielsweise schlicht und ergreifend seinem Ärger „Luft“ machen, vielleicht gar ein „letztes Mal“ nach der Beendigung eines zuletzt nicht harmonisch verlaufenden Dauerschuldverhältnisses. Auch kann ein (Forderungs-)Schreiben lediglich Mittel der Provokation sein oder dazu dienen, einmal „vorzufühlen“, mit welchen Argumenten und Beweismitteln der andere im gerichtlichen Verfahren aufwarten kann. Jedenfalls in diesen Fällen ist es kein guter Rat, auf derartige Schreiben überhaupt zu reagieren; denn die Antwort könnte direkt ins gerichtliche Verfahren führen. Auch wenn der anwaltliche Rat einer ‚Nicht­reaktion‘ ungewöhnlich und daher rechtfertigungsbedürftig ist, wird ein guter Rechtsberater auch diese Möglichkeit in seine Erwägungen einbeziehen.

Die Entwicklung von Gesetzgebung und Rechtsprechung zwingt jedoch immer häufiger dazu, auch dort zu schreiben, wo Schweigen opportun wäre: So kann eine unterlassene Reaktion auf eine Mahnung nach § 31 II Nr. 4d) BDSG das Scoring verschlechtern und nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Waffengleichheit (dazu: rsw.beck.de/arbeitshilfe-moeller) kann die ausbleibende Antwort auf ein Abmahnschreiben dazu führen, dass eine einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung erlassen wird. Der Reigen faktischer Antwortpflichten wird durch einen aktuellen Richterspruch erwei­tert (BGH NJW 2023, 1368). Der BGH gestand einem ­Energieversorgungsunternehmen unter erstattungsrechtlichen Gesichtspunkten zu, vorgerichtlich zunächst ­einen Inkasso­dienstleister zu beauftragen, obgleich dessen Gebühren nicht auf die eines ­später beauftragten Rechtsanwalts angerechnet werden. In der Begründung wird hervorgehoben, dass der Beklagte keine Einwände gegen die Forderung geltend gemacht und diese auch nicht bestritten habe. Der Gläubiger habe daher davon ausgehen dürfen, den Be­klagten mittels eines Inkassodienstleisters zu einer (Raten-)Zahlung bewegen zu können.

Ebenso wie die Möglichkeit des Schweigens stets in die Erwägungen einzubeziehen ist, sollte auch geprüft werden, ob es vor dem Hintergrund der durch die Rechtsprechung geprägten Rechtslage triftige Gründe für ein außergerichtliches Bestreiten gibt. Unbedingt abzuraten ist von zuweilen anzutreffenden Unternehmensgrundsätzen wie ‚Wir beantworten jedes Schreiben‘ oder ‚Auf unberechtigte Mahnungen reagieren wir grundsätzlich nicht‘. Die hier aufgeworfene Frage lässt sich nur im Rahmen einer umfassenden Abwägung im Einzelfall beantworten.

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Rechtsanwalt und Notar Dr. Mirko Möller, LL.M., Dortmund.