Kolumne
Schwarmintelligenz
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Digitalisierung erfordert neue Ideen, zum Beispiel neue Allianzen. Das gilt auch für den Rechtsmarkt. Wird es dort so etwas wie Schwarmintelligenz geben? Es ist im Sinne von funktionierenden AI/Jura-Anwendungen zu hoffen. ChatGPT allein wird uns nicht glücklich machen.

10. Mrz 2023

Kann man zur Zeit nicht über ChatGPT sprechen? Eigentlich nicht. Es gibt Blogs, Diskussionen, Vorschläge für regulatorische Einhegung, ­Artikel, Seminare, selbst ein großer örtlicher Anwaltverein im Rheinland bietet seinen Mitgliedern ein Webinar an, in dem sie von einem Kollegen, der sich seit Monaten anscheinend mit nichts anderem als ChatGPT beschäftigt, mehr über die Chancen dieses Tools für die anwaltliche Praxis lernen können.

Inzwischen wissen wir auch, wie das Programm funktioniert, so in etwa jedenfalls. Da geht nichts ohne Daten, und zwar viele Daten, massig viele Daten, riesige Datenmengen. Das Programm sucht in der Frage nach bestimmten Schlüsselbegriffen im Kontext, ahnt, was man will, und setzt bei seinen Antworten auf die Macht der Mathematik und der Statistik, bekanntlich ein Gebiet, das unserer Profession verschlossen ist, wir schaffen es ja nicht mal, eine vernünftige prozentuale Prognose für den Ausgang eines Prozesses abzugeben. Fehlerfrei ist das natürlich nicht alles, was ChatGPT produziert, auch scheinbar simple Fragen werden komplett falsch beantwortet, aber: Software wird über Zeit immer besser und leistungsfähiger. Das kann man von Menschen leider nicht behaupten, nicht mal von Juristen. ChatGPT hat bereits Konkurrenten, die sogar Fundstellen für ihre Ergebnisse anbieten. Microsoft will 10 Mrd. US-$ investieren, und bei deren Marktanteil kann man davon ausgehen, dass diese Software zum selbstverständlichen Teil unseres Lebens werden wird. Teams nutzte vor zwei Jahren auch kein Mensch.

Wie gehen wir nun damit um? ChatGPT beantwortet auch Rechtsfragen, so dass bereits der Ruf nach dem RDG laut wurde. Überhaupt, verbieten. Im Rahmen der Diskussionen über den KI-Verordnungsentwurf der EU-Kommission wird überlegt, diese Sprachmodelle über den jetzigen Entwurf hinaus den Hochrisiko-Anwendungen zuzuordnen. Das würde sie mit vielen Compliance-Anforderungen umzingeln. Aber mit oder ohne Compliance: wir können nicht darauf bauen, dass dieser Spuk irgendwann wieder verschwindet. Klüger ist das, was der bereits erwähnte rheinische Anwaltverein veranstaltet: Konkrete Hilfestellung. Mag man belächeln, ist aber der richtige Weg.

Überhaupt erfordert die Digitalisierung neue Ideen, zum Beispiel neue Allianzen. Gerade wurde berichtet, dass sich vier bedeutende süddeutsche Kanzleien mit einem Software-Unternehmen zur ­weiteren Legal-Tech-Entwicklung zusammengeschlossen haben. Kein Merger, eine Zweck-Gemeinschaft von Konkurrenten, die verstanden haben, dass sie nicht über ihre jeweiligen Datensilos konkurrieren sollten. Eine solche Allianz haben führende Kanzleien in Österreich schon vor ­Jahren geschlossen, aber dort sind sie ohnehin innovativer als wir in Deutschland. Wir warten auf das gemeinsame Rechenzentrum deutscher Wirtschaftskanzleien, die ihre Daten einbringen, um endlich funktionierende AI/Jura-Anwendungen zu bauen. Vielleicht ist ein ­juristischer Fachverlag schneller. Klingt abstrus? Keinesfalls.

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Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Mediator in Berlin, Senior Fellow des Bucerius Center on the Legal Profession und Mitglied des Berufsrechtsausschusses des DAV.