Kolumne

Schwar­m­in­tel­li­genz
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Foto_Markus_Hartung_WEB
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Di­gi­ta­li­sie­rung er­for­dert neue Ideen, zum Bei­spiel neue Al­li­an­zen. Das gilt auch für den Rechts­markt. Wird es dort so etwas wie Schwar­m­in­tel­li­genz geben? Es ist im Sinne von funk­tio­nie­ren­den AI/Jura-An­wen­dun­gen zu hof­fen. ChatGPT al­lein wird uns nicht glück­lich ma­chen.

10. Mrz 2023

Kann man zur Zeit nicht über ChatGPT spre­chen? Ei­gent­lich nicht. Es gibt Blogs, Dis­kus­sio­nen, Vor­schlä­ge für re­gu­la­to­ri­sche Ein­he­gung, ­Artikel, Se­mi­na­re, selbst ein gro­ßer ört­li­cher An­walt­ver­ein im Rhein­land bie­tet sei­nen Mit­glie­dern ein We­bi­nar an, in dem sie von einem Kol­le­gen, der sich seit Mo­na­ten an­schei­nend mit nichts an­de­rem als ChatGPT be­schäf­tigt, mehr über die Chan­cen die­ses Tools für die an­walt­li­che Pra­xis ler­nen kön­nen.

In­zwi­schen wis­sen wir auch, wie das Pro­gramm funk­tio­niert, so in etwa je­den­falls. Da geht nichts ohne Daten, und zwar viele Daten, mas­sig viele Daten, rie­si­ge Da­ten­men­gen. Das Pro­gramm sucht in der Frage nach be­stimm­ten Schlüs­sel­be­grif­fen im Kon­text, ahnt, was man will, und setzt bei sei­nen Ant­wor­ten auf die Macht der Ma­the­ma­tik und der Sta­tis­tik, be­kannt­lich ein Ge­biet, das un­se­rer Pro­fes­si­on ver­schlos­sen ist, wir schaf­fen es ja nicht mal, eine ver­nünf­ti­ge pro­zen­tua­le Pro­gno­se für den Aus­gang eines Pro­zes­ses ab­zu­ge­ben. Feh­ler­frei ist das na­tür­lich nicht alles, was ChatGPT pro­du­ziert, auch schein­bar simp­le Fra­gen wer­den kom­plett falsch be­ant­wor­tet, aber: Soft­ware wird über Zeit immer bes­ser und leis­tungs­fä­hi­ger. Das kann man von Men­schen lei­der nicht be­haup­ten, nicht mal von Ju­ris­ten. ChatGPT hat be­reits Kon­kur­ren­ten, die sogar Fund­stel­len für ihre Er­geb­nis­se an­bie­ten. Mi­cro­soft will 10 Mrd. US-$ in­ves­tie­ren, und bei deren Markt­an­teil kann man davon aus­ge­hen, dass diese Soft­ware zum selbst­ver­ständ­li­chen Teil un­se­res Le­bens wer­den wird. Teams nutz­te vor zwei Jah­ren auch kein Mensch.

Wie gehen wir nun damit um? ChatGPT be­ant­wor­tet auch Rechts­fra­gen, so dass be­reits der Ruf nach dem RDG laut wurde. Über­haupt, ver­bie­ten. Im Rah­men der Dis­kus­sio­nen über den KI-Ver­ord­nungs­ent­wurf der EU-Kom­mis­si­on wird über­legt, diese Sprach­mo­del­le über den jet­zi­gen Ent­wurf hin­aus den Hoch­ri­si­ko-An­wen­dun­gen zu­zu­ord­nen. Das würde sie mit vie­len Com­pli­an­ce-An­for­de­run­gen um­zin­geln. Aber mit oder ohne Com­pli­an­ce: wir kön­nen nicht dar­auf bauen, dass die­ser Spuk ir­gend­wann wie­der ver­schwin­det. Klü­ger ist das, was der be­reits er­wähn­te rhei­ni­sche An­walt­ver­ein ver­an­stal­tet: Kon­kre­te Hil­fe­stel­lung. Mag man be­lä­cheln, ist aber der rich­ti­ge Weg.

Über­haupt er­for­dert die Di­gi­ta­li­sie­rung neue Ideen, zum Bei­spiel neue Al­li­an­zen. Ge­ra­de wurde be­rich­tet, dass sich vier be­deu­ten­de süd­deut­sche Kanz­lei­en mit einem Soft­ware-Un­ter­neh­men zur ­weiteren Legal-Tech-Ent­wick­lung zu­sam­men­ge­schlos­sen haben. Kein Mer­ger, eine Zweck-Ge­mein­schaft von Kon­kur­ren­ten, die ver­stan­den haben, dass sie nicht über ihre je­wei­li­gen Da­ten­si­los kon­kur­rie­ren soll­ten. Eine sol­che Al­li­anz haben füh­ren­de Kanz­lei­en in Ös­ter­reich schon vor ­Jahren ge­schlos­sen, aber dort sind sie oh­ne­hin in­no­va­ti­ver als wir in Deutsch­land. Wir war­ten auf das ge­mein­sa­me Re­chen­zen­trum deut­scher Wirt­schafts­kanz­lei­en, die ihre Daten ein­brin­gen, um end­lich funk­tio­nie­ren­de AI/Jura-An­wen­dun­gen zu bauen. Viel­leicht ist ein ­juristischer Fach­ver­lag schnel­ler. Klingt ab­strus? Kei­nes­falls.

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Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Mediator in Berlin, Senior Fellow des Bucerius Center on the Legal Profession und Mitglied des Berufsrechtsausschusses des DAV.