NJW-Editorial
Schwangerschaftsabbruch liberalisieren
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Mit dem Regelungskomplex des Schwangerschaftsabbruchs, insbesondere mit der Beratungslösung nach § 218a I StGB, steht nach dem jüngst präsentierten Bericht der von der Ampel-Koalition eingesetzten Expertinnenkommission ein hart umkämpfter Kompromiss in der Diskussion. Die Sorge vor erneuten unerbittlichen Debatten um das Lebensrecht des Embryos und der Selbstbestimmung der Frau ist sicher nicht unberechtigt. Dies genügt aber nicht zur Begründung, eine seit 30 Jahren bestehende Regelung nicht anzutasten, die eben vor allem eines ist: ein rechtspolitischer Kompromiss auf ­Basis einer in Teilen nicht überzeugenden Entscheidung des BVerfG (NJW 1993, 1751).

2. Mai 2024

Die Karlsruher Rechtsprechung wird im Bericht der Expertinnenkommission nicht als Hindernis einer Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des StGB ange­sehen, womit nicht weniger auf der Agenda steht als die Streichung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafrecht. Im Fall einer Reform ist zu erwarten, dass sich das BVerfG erneut mit diesen Fragen befassen muss. Dabei wird sich zeigen, ob die Annahme der Kommissionsmitglieder, das Gericht würde mit Blick auf das heutige verfassungs- und völkerrechtliche Verständnis anders entscheiden, zutrifft.

Ob man allerdings so weit gehen kann, Schutzkonzepte wie eine Beratungslösung gänzlich aufzugeben, ist mit Blick auf die vom BVerfG hervorgehobene Schutzpflicht des Staates zu bezweifeln. Die Kommission stellt aber auch die Beratungspflicht in Frage. Im Prinzip zu Recht, denn Beratung sollte auf Freiwilligkeit setzen, vor allem aber schimmert mit Beratungspflicht und Wartezeit das Bild einer Frau durch, die Entscheidungen auf unzureichender Basis und voreilig treffen würde. Allerdings würde sich der Staat seine Einflussmöglichkeit auf den Entscheidungsprozess der Frau zugunsten des Em­bryos vergeben. Der Bericht wirft überdies weitere, noch intensiv zu diskutierende ­Fragen auf (u.a. extrauterine Lebensfähigkeit, embryopathisch motivierte Abbrüche).

Die Reform des Schwangerschaftsabbruchsrechts ist ohne jeden Zweifel ein enorm ­großes Vorhaben. Der Gesetzgeber sollte diese Herausforderung annehmen, denn die Zeit für den damaligen Kompromiss scheint abgelaufen. Minimalziel einer Reform sollte die Einordnung des Abbruchs als rechtmäßig sein. Die Konstruktion als Unrecht bei Straffreiheit ist dogmatisch kaum zu erklären. Kompetent für die Auflösung des einzigartigen Konflikts bei ungewollter Schwangerschaft ist nur die Person, die diesen erlebt und aushalten muss: die Schwangere. Mit der derzeit geltenden Regelung wird ihr zwar die Letztentscheidungskompetenz zugestanden, nicht jedoch, eine „richtige“ Entscheidung im Sinne einer von der Rechtsordnung anerkannten Entscheidung zu treffen. Ob die Zeit reif ist, noch einen Schritt weiterzugehen und § 218 aus dem StGB zu streichen, werden die kommenden Debatten zeigen.

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Prof. Dr. Tanja Henking, LL.M., ist Professorin u.a. für Strafrecht an der TH Würzburg-Schweinfurt.