Standpunkt
Schutz für Wirtschaft und Verbraucher
Standpunkt
Lorem Ipsum

Die Insolvenz ist die letzte Stufe der wirtschaftlichen Krise. Eine weitere Aussetzung der Insolvenzantragspflichten, wie Politiker sie jetzt anstreben, führt weder dazu, dass es einem Unternehmen besser geht. Noch werden Verbraucher vor Zahlungsausfällen geschützt.

9. Sep 2020

Infolge der Corona-Pandemie und des Lockdowns kam es weltweit zu einem historischen Konjunktureinbruch. Hinweise auf eine Blasenbildung, Struktur- und Finanzkrise sowie eine Nachhaltigkeitskrise gab es bereits vorher. Das Virus war der Auslöser, durch den viele endogene und exogene Krisenursachen offenbar wurden. Die Politik reagierte schnell und versuchte zu stützen. Neben der Gewährung zahlreicher Maßnahmen wurde das COVInsAG verabschiedet. Damit wurde die Verpflichtung zur Stellung des Insolvenzantrags nach § 15a InsO bis zum 30.9.2020 ausgesetzt. Das BMJV wurde ermächtigt, die Aussetzung bis zum 31.3.2021 zu verlängern. Justizministerin Lambrecht erklärte kürzlich, sie wolle die Insolvenzantragspflicht für „coronabedingt“ überschuldete Unternehmen über diesen Stichtag hinaus weiter aussetzen.

Einer weiteren Aussetzung der Antragspflicht bei Überschuldung bedarf es nicht. Wenn eine positive Fortführungsprognose besteht, ist die Überschuldung bereits de lege lata ausgesetzt (§ 19 II 2 InsO). Die Insolvenz ist die letzte Stufe der wirtschaftlichen Krise. Eine weitere Aussetzung der bestehenden Insolvenzantragspflichten führt nicht dazu, dass es einem Unternehmen besser geht. Das Eigenkapital dient als Verlustpuffer: Wenn es nicht mehr gegeben ist, müssen Vertragspartner, Fiskus und Sozialversicherungen die Verluste tragen. Diese haben jedoch regelmäßig keine Kenntnis von den wirtschaftlichen Verhältnissen, können diese nicht ändern und werden so unverschuldet in Mitleidenschaft gezogen. Gesunde Unternehmen werden gegebenenfalls infiziert und bekommen Probleme.

Wege aus der Krise

Die Gewährung von Liquiditätshilfen war richtig, um sich eine „Denk- und Atempause“ zu erkaufen. Eine Perpetuierung dieser Situation würde jedoch dazu führen, dass diese sich verschärft und gesunde Unternehmen infiziert werden. Die Krise ist in einem Maße komplex und polyvalent, dass schematische, aus früheren Fällen bekannte Lösungen nicht den gewünschten Erfolg bringen werden. Erforderlich sind kreatives, lösungsorientiertes Denken und ein offener, ehrlicher, an der Sache orientierter Diskurs. Ausgangspunkt ist die Frage: Was will man retten? Ziel ist, Einheiten, die ertragsfähig sind bzw. dies nach einer Restrukturierung sein können, zu retten und zugleich die unnötige Infizierung Gesunder zu vermeiden.

Was sind die möglichen „Stellschrauben“? Wie können Unternehmen wieder ertragsfähig werden? Neben einem tragfähigen Geschäftsmodell ist regelmäßig auch eine Anpassung, Verringerung und Variabilisierung der Kosten erforderlich. Das erfasst sämtliche Bereiche des Wirtschaftslebens. So kann ein kleiner Blumenladen am Hauptbahnhof bei weniger Reisenden weniger Pflanzen verkaufen; das führt zu einer geringeren Ertragsfähigkeit und damit einer eingeschränkten Möglichkeit, Mietzins zu zahlen. Der Eigentümer wird kürzen müssen – bei Handwerkerleistungen etwa, der Reinigung des Ladens usw.

"Faule Kirschen"

Kurzfristig muss in der Wirtschaft ein gigantischer Transformationsprozess angestoßen werden, damit die Unternehmen ihre Ertragsfähigkeit wiederfinden. Werkzeuge ist dabei neben Insolvenzen auch die allgemeine Vertragsanpassung. Die Liquiditätshilfen haben Leerlaufkosten gedeckt, die durch den Einbruch des Markts entstanden sind. Volkswirtschaftlich sinnvoll – aber betriebswirtschaftlich stand diesen Geldern keine angemessene Wertschöpfung gegenüber. Wenn Unternehmen nicht ertragskräftig und überschuldet sind, müssen sie in den Turnaround oder Exit. Auf dem Wochenmarkt ist zu sehen, wie der Obstverkäufer die faulen Kirschen aussortiert, um zu verhindern, dass diese andere anstecken. In der Coronakrise wurden Kranke in Quarantäne geschickt. Nur in der Wirtschaft wollen wir die kranken, zahlungsunfähigen und überschuldeten Unternehmen weiter am Markt teilnehmen lassen? Mit der Folge, dass diese Leistungen abfragen, sie aber nicht bezahlen können – und auch diese Unternehmen damit in die Krise stoßen?

Die „Coronadarlehen“ müssen in den Nachrang, Banken gehören insoweit rekapitalisiert. So wird Substanz gerettet. Bei ertragreichem Wirtschaften erfolgt aus freier Liquidität deren Rückzahlung, die sonst nicht möglich wäre.

Jörn Weitzmann ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuer- und​ für Insolvenzrecht bei Kilger & Fülleborn in Hamburg..