NJW-Editorial
Schnell statt auf Vorrat
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Der nunmehr fast 20 Jahre währende Streit um die Vorratsdatenspeicherung (VDS) ist um weitere Kapitel reicher: Gerade erst hatte sich das Bundeskabinett auf die Einführung des sogenannten Quick-Freeze-Verfahrens geeinigt, da urteilte der EuGH, dass die anlasslose Speicherung von IP-Adressen zu Strafverfolgungszwecken zulässig sein kann, sofern eine „strikte Trennung“ zu sonstigen Nutzerdaten gewährleistet ist (C-470/21). Das dürfte die alte Debatte zusätzlich neu befeuern.

10. Mai 2024

Der nunmehr fast 20 Jahre währende Streit um die Vorratsdatenspeicherung (VDS) ist um ein Kapitel reicher: Nachdem der EuGH im September 2022 die deutschen Vorschriften zur VDS für unionsrechtswidrig erklärt hatte, hat sich das Bundeskabinett im April 2024 auf die Einführung des sogenannten Quick-Freeze-Verfahrens geeinigt. Mit diesem sollen Telekommunikationsanbieter verpflichtet werden können, bestimmte vorhandene und zukünftig anfallende Verkehrsdaten von Nutzern – etwa IP-Adressen, Telefonnummern und Standortinformationen – unverzüglich zu sichern, damit Strafverfolgungsbehörden auf sie zugreifen können. Quick-Freeze bedeutet also, anders als die VDS, keine anlasslose Datenspeicherung, sondern soll eine schnelle Sicherung potenziell beweisrelevanter Daten in Strafverfahren ermöglichen.

Die Idee ist nicht neu: Das Bundesjustizministerium hatte bereits kurz nach der EuGH-Entscheidung einen Referentenentwurf erarbeitet, der in einem neu zu fassenden § 100g V StPO-E die Befugnis zum Erlass einer verdachtsabhängigen Sicherungs­an­ordnung vorsah. Der Referentenentwurf stellte sowohl die Sicherung als auch die ­anschließende strafprozessuale Erhebung der „eingefrorenen“ Daten unter einen Richtervorbehalt. Er dürfte die Grundlage für die nun zu erwartende neuerliche Gesetzesinitiative bilden. Die ab August 2026 geltende E-Evidence-Verordnung enthält mit der ­Europäischen Sicherungsanordnung ein ähnliches Instrument.

Die Einigung auf Quick-Freeze und insbesondere die damit verbundene Absage an eine VDS ist bei Bürgerrechtsorganisationen erwartungsgemäß auf breite Zustimmung gestoßen. Die Befürworter einer VDS kritisieren Quick-Freeze demgegenüber als weit­gehend untauglich, da Provider Verkehrsdaten nur insoweit über den jeweiligen Kommunikationsvorgang hinaus aufbewahren dürfen, als dies im Einzelfall für bestimmte Zwecke, etwa zur Entgeltabrechnung, erforderlich ist (§ 9 I TTDSG). Das ist häufig nicht der Fall. Nutzen Kunden zum Beispiel eine Flatrate, werden für die Abrechnung keine Verkehrsdaten benötigt. Anbieter müssen die Daten dann unverzüglich löschen; eine Sicherungsanordnung würde ins Leere gehen.

Wird Quick-Freeze Gesetz, dürfte sein praktischer Nutzen deshalb überschaubar sein. Dies gilt allerdings auch für die VDS, die selbst in ihrer bisherigen, unverhältnismäßig weiten Ausgestaltung nicht zu signifikant höheren Aufklärungsquoten geführt hat. Ob eine rechtskonforme und tatsächlich effektive Umsetzung der VDS überhaupt möglich ist, wird zu Recht bezweifelt. Die Abkehr von diesem Instrument ist daher zu begrüßen.

Das letzte Wort in Sachen VDS ist allerdings nicht gesprochen. Gerade erst hat der EuGH geurteilt, dass die anlasslose Speicherung von IP-Adressen zu Strafverfolgungszwecken sehr wohl zulässig sein kann, sofern eine „strikte Trennung“ zu sonstigen Nutzerdaten gewährleistet ist (C-470/21). Das dürfte die alte Debatte neu befeuern.

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Dr. David Albrecht ist Fachanwalt für Strafrecht in Berlin und Mitglied des Ausschusses​„Gefahrenabwehrrecht“ des Deutschen Anwaltvereins (DAV).