„Schlechte Laune wird nicht verfolgt“
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Düsseldorfs Justiz hat einen ungewöhnlichen Posten eingerichtet – den des Altstadtstaatsanwalts. Seine Sonderzuständigkeit in dem Kneipenviertel umfasst Straftaten im öffent­lichen Raum aus dem Bereich der Gewalt- und Waffendelikte, die im Zusammenhang mit dem Feier- oder Partygeschehen stehen. Wir sprachen mit dem Amtsinhaber Tim Lisner.

26. Sep 2023

NJW: Warum hat man Sie für diese neue Aufgabe ausgewählt?

Lisner: Ich habe mich für das neue Projekt gemeldet, weil ich die Aufgabe spannend und reizvoll finde. Für mich sprach unter anderem, dass ich über drei Jahre Berufserfahrung verfüge und gerade nicht durch die Führung eilbedürftiger Großverfahren gebunden war. 

NJW: Diverse Medien haben bei Ihrer Ernennung geschrieben, Sie hätten „Aggro-Chillern“ den Kampf angesagt. Was gefällt Ihnen nicht an dem Begriff?

Lisner: Bei dem Begriff handelt es sich natürlich um eine plakative und überspitzte Beschreibung des beobachteten Grundphänomens. Gemeint sind latent ­gewaltbereite Menschen, die sich nicht zum friedlichen Feiern und „Chillen“ in die Altstadt begeben, sondern um dort ihre Aggressionen auszuleben und Straftaten wie beispielsweise Körperverletzungen zu begehen. Dieser Begriff findet sich aber natürlich in keinem Strafgesetz. In einer Anklageschrift wird der Begriff ­sicher nicht auftauchen. Wörtlich übersetzt würde der Begriff „Aggro-Chillen“ wohl auch „aggressives/ schlechtgelauntes Rumhängen“ bedeuten. Das ist erst einmal nicht strafbar und wird von uns natürlich nicht verfolgt. 

NJW: Wie groß ist der Anteil Ihrer Altstadtarbeit an ­Ihrer gesamten Tätigkeit? 

Lisner: Die Arbeit als Altstadtstaatsanwalt umfasst neben der reinen Ermittlungstätigkeit auch Organisato­risches sowie Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. „Die Altstadt“ macht damit etwa 50% meiner Tätigkeit aus. Mit der anderen Hälfte meiner Arbeitskraft bin ich mit Vorgängen der internationalen Rechtshilfe befasst. 

NJW: Gehen Sie auch regelmäßig vor Ort „auf Streife“?

Lisner: Echter Streifendienst als präventive Maßnahme fällt natürlich in die Zuständigkeit der Polizei. Ich habe als fachlich interessierter Zuschauer zwei Nachtschichten bei der Polizei der Altstadtwache begleitet. Ich habe hierbei wertvolle Erfahrungen gesammelt und werde dies in den kommenden Monaten noch einmal wiederholen. Grundsätzlich möchte ich als „Staats­anwalt vor Ort“ auch in möglichst engem Kontakt mit den Kräften „vor Ort“ bleiben. Eine regelmäßige An­wesenheit bei der „Bestreifung“ der Altstadt ist allerdings aufgrund meines Arbeitspensums und fehlender Zuständigkeit der Justiz nicht vorgesehen. 

NJW: Worin liegt Ihr Kerngeschäft, welche Delikte ­bilden den Schwerpunkt, und wie oft kommt Ihnen das alles auf den Tisch?

Lisner: Mein amtsanwaltlicher Kollege übernimmt vor allem die Äußerungsdelikte, das heißt Beleidigungen (§ 185 StGB), sowie Nötigungen (§ 240 StGB), Bedrohungen (§ 241 StGB) und weniger schwerwiegende Gewaltdelikte wie einfache Körperverletzungen (§ 223 StGB). Mein Aufgabenumfeld umfasst die mittlere und höhere Kriminalität. Hierunter fallen beispielsweise gefährliche Körperverletzungen (§ 224 StGB). Hierzu zählt auch das heimliche Verabreichen von K.O.-Tropfen. ­Außerdem landen Raubtaten (§§ 249 ff. StGB), Schlägereien (§ 231 StGB) und Verstöße gegen das Waffengesetz bei mir auf dem Tisch.

NJW: Was sind die typischen Verdächtigen?

Lisner: Typische Tatverdächtige, wenn es solche überhaupt geben sollte, konnte ich bislang nicht ausmachen. Die Altstadt zieht als „längste Theke der Welt“ die unterschiedlichsten Personen aus allen Herkunftsbereichen und sozialen Schichten an. Wenn überhaupt, ist als Tendenz zu erkennen, dass es sich bei der überwiegenden Anzahl der Tatverdächtigen um eher junge Männer handelt. 

NJW: Was sagt denn die Polizei zu ihrem neuen Ansprechpartner, und wie läuft die Zusammenarbeit?

Lisner: Die Rückmeldungen seitens der Polizei, aber auch des Ordnungsamts, waren ausnahmslos positiv. Darüber bin ich natürlich sehr erfreut. Ich erlebe die Zusammenarbeit mit der Polizei und auch den Ordnungskräften ebenfalls als sehr produktiv und gewinnbringend. Der Umstand, dass mein amtsanwaltlicher Kollege und ich seitens der Staatsanwaltschaft nun für alle Anliegen im Zusammenhang mit der Altstadt zuständig sind, schafft große Nähe zwischen den Akteuren und wird mir von der Polizei und dem Ordnungsamt als wichtig und zielführend beschrieben.

NJW: ...und mit der Justiz?

Lisner: Über die Zusammenarbeit mit den übrigen Stellen der Justiz kann ich mich ebenfalls nicht beklagen. Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf hat mir ein Netzwerk an Ansprechpersonen zur Verfügung gestellt, an die ich mich unmittelbar wenden kann. Das erleichtert die Zusammenarbeit erheblich, insbesondere bei Fragen im Zusammenhang mit Verfahrensabgaben. Hierzu muss man wissen, dass nach § 42 JGG die Gerichte und Staatsanwaltschaften des Wohnortes in der Regel vorrangig zuständig sind, weswegen bei auswärtigen Beschuldigten im jugendlichen Alter das Verfahren möglichst nach Abschluss der Ermittlungen an die für den Wohnort zuständige Behörde abzugeben ist. Diese Ansprechpersonen koordinieren solche Verfahrensabgaben, damit die Verfahren in der übernehmenden Staatsanwaltschaft weiterhin zügig und vorrangig bearbeitet werden können.

NJW: Sie sprechen gar nicht von Drogen – wird in der Düsseldorfer Altstadt nicht gedealt?

Lisner: Natürlich spielen leider auch Drogen eine Rolle in der Düsseldorfer Altstadt. Für solche Straftaten, also für Betäubungsmittelkriminalität, hat die Staatsanwaltschaft jedoch eine eigene Sonderabteilung, die auch weiterhin zuständig bleibt. Da gibt es zunächst ein­gespielte Verfahrensabläufe. Sichergestellte Drogen müssen beispielsweise zunächst auf ihren Wirkstoffgehalt hin untersucht werden. Die Bearbeitung solcher Delikte erfordert dann eine zusätzliche Expertise. Eine effektive Strafverfolgung auf dem Gebiet der Drogenkriminalität setzt auch außerhalb der Düsseldorfer Altstadt, bei den Bezugsquellen, Vertriebsstrukturen und Hintermännern an. Hierfür sind ganz andere Ressourcen erforderlich. 

NJW: Was war bislang Ihr ungewöhnlichster Fall?

Lisner: Kurios war ein Verfahren, bei dem eine Gruppierung von etwa 18 Beschuldigten eine andere Gruppierung körperlich angegriffen haben soll. Als die Polizei vor Ort erschien, konnten nur noch die Beschuldigten angetroffen werden. Sämtliche mutmaßlich Geschädigten waren spurlos verschwunden. Bis heute hat sich niemand gemeldet und Strafanzeige erstattet. Dieses Verfahren hat mir persönlich die besondere Dynamik bestimmter „Altstadtverfahren“ vor Ort verdeutlicht. Die Situationen, mit denen die vor Ort eingesetzten Kräfte konfrontiert werden, sind oft unübersichtlich und herausfordernd. Die Gefahrenabwehr hat immer Vorrang. Die strafrechtliche Sachverhaltsaufarbeitung ist dann nachrangig. 

NJW: Welche Reaktionen der Öffentlichkeit gab es? 

Lisner: Soweit mir das bekannt ist, hat es auch da viele positive Rückmeldungen gegeben. Die Reaktion einer älteren Dame ist mir besonders erinnerlich. Sie lobte das neue Projekt und gab an, sie fühle sich jetzt in der Altstadt endlich sicherer. So eine Aussage freut mich natürlich, auch wenn ich die Sicherheit in der Altstadt mit meiner Tätigkeit natürlich nur indirekt beeinflussen kann. Für die Sicherheit sind in erster Linie die Polizei und das Ordnungsamt zuständig. Meine Hoffnung ist es aber, dass sich das neue Projekt schnell herumspricht und dass die schnelle und konsequente Strafverfolgung nicht nur die Täter nachhaltig beeindruckt, sondern gewaltbereite Menschen davon abhält, ihre Aggressionen in die Altstadt zu tragen.

Tim Lisner (Jahrgang 1989) stammt aus Moers. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in Frankreich schloss er das Studium der Rechtswissenschaften in ­Göttingen ab. Sein Referendariat absolvierte er beim ­Landgericht Essen. Im Jahre 2019 wurde er Staatsanwalt in Düsseldorf und ist dort nun seit Mai 2023 der „Staats­anwalt vor Ort“ für den Bereich der Düsseldorfer Altstadt.

Interview: Joachim Jahn