Anmerkung von
Rechtsanwalt Tobias Hirte, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH
Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 16/2021 vom 05.08.2021
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Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Schuldnerin, die mit der Behauptung, ein Online-Marketing-Netzwerk zu betreiben, an dem sich Kunden durch den Erwerb von Service-Paketen am Geschäftsmodell beteiligen und in Abhängigkeit von Werbeeinnahmen Provisionen erzielen können, Geldmittel einwarb. Tatsächlich erbrachte die Schuldnerin allerdings wie von vornherein geplant die Leistungen nicht und verwendete die vereinnahmten Geldbeträge, um Provisionen für vorgetäuschte Werbeeinnahmen und für neue Kunden auszuzahlen. Die Verantwortlichen wurden wegen Betrugs verurteilt.
Der Beklagte erwarb Service-Pakete und vermittelte Pakete an weitere Geschädigte. Er erhielt für die Vermittlung von Neukunden Auszahlungen in Höhe von 12.395 EUR und für die selbst erworbenen Pakete unter Hinweis auf angebliche Werbeeinnahmen Auszahlungen in Höhe von 893 EUR.
Der Kläger hat alle Auszahlungen gem. § 134 InsO angefochten. Das LG verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 893 EUR und wies die Klage im Übrigen ab. Auf die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung des Beklagten hin wurde der Beklagte verurteilt, an den Kläger 11.166 EUR zu zahlen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage, soweit der Kläger mehr als 751 EUR nebst Zinsen begehrt.
Entscheidung
Die Revision hatte Erfolg.
Es lägen zwar Leistungen der Schuldnerin an den Beklagten vor. Allerdings sei für die Frage der Unentgeltlichkeit auf den Zeitpunkt des Rechtserwerbs des Anfechtungsgegners infolge der Leistung des Schuldners abzustellen (§ 140 InsO). Mit Ausnahme der angeblichen Werbeeinnahmen seien in den Auszahlungen keine unentgeltlichen Leistungen zu erkennen gewesen. Im vorliegenden Zwei-Personen-Verhältnis liege Unentgeltlichkeit vor, wenn ein Vermögenswert zugunsten einer anderen Person aufgegeben werde, ohne dass dem Verfügenden ein entsprechender Vermögenswert vereinbarungsgemäß zufließen solle. Entgeltlich sei dagegen eine Verfügung, wenn der Schuldner für seine Leistung etwas erhalten habe, was objektiv ein Ausgleich für seine Leistung gewesen sei oder jedenfalls subjektiv nach dem Willen der Beteiligten sein solle. Leiste der Schuldner, weil er sich irrtümlich hierzu verpflichtet halte, stehe ihm hinsichtlich der Leistung ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zu. Insoweit fehle es bei einer solchen Leistung an einem endgültigen, vom Empfänger nicht auszugleichenden freigiebigen Vermögensverlust des Schuldners.
Soweit die Schuldnerin Provision aus tatsächlich nicht geschalteter Werbung ausgezahlt habe, seien diese ohne Rechtsgrund geleistet. Dem Bereicherungsanspruch der Schuldnerin hätte der Beklagte allerdings § 814 BGB entgegenhalten können, weil die Schuldnerin gewusst habe, dass die Ansprüche nicht bestanden hätten. Mithin seien die Auszahlungen der Schuldnerin insoweit unentgeltlich. Das habe der Beklagte in der Berufungsinstanz nicht in Abrede gestellt. Folglich bestehe der Anspruch des Klägers auf die unentgeltlich erlangten Provisionszahlungen wegen angeblicher Werbemaßnahmen von 893 EUR. Allerdings sei der Beklagte in Höhe von 143 EUR entreichert, weil er Umsatzsteuer habe zahlen müssen.
Im Übrigen habe der Beklagte gegen die Schuldnerin einen wirksamen Anspruch auf Zahlung der Provisionen aus § 652 Abs. 1 BGB. Der zugrunde liegende Maklervertrag sei nicht nach § 134 BGB oder § 138 BGB nichtig, sondern wirksam. Denn der Beklagte und die Geschäftspartner seien von der Schuldnerin getäuscht und als vorsatzlos handelndes Werkzeug eingesetzt worden. Auch seien sie von der Schuldnerin durch das Schneeballsystem betrogen worden (§ 263 StGB). Allerdings hätten die vom Beklagten vermittelten Geschäftspartner die Verträge mit der Schuldnerin wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB anfechten oder nach §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB Schadensersatz verlangen können. Dies lasse allerdings den Provisionsanspruch des Maklers noch nicht entfallen. Vielmehr hätten die Geschäftspartner die Verträge tatsächlich anfechten oder Schadensersatz verlangen müssen. Dazu sei schon nichts vorgetragen worden. Im Übrigen ändere diese Möglichkeit nichts daran, dass die Schuldnerin im anfechtungsrechtlich maßgeblichen Zeitpunkt der Leistung auf eine bestehende Verbindlichkeit gezahlt habe.
Die Zahlung der Provision an den Beklagten sei auch nicht deswegen unentgeltlich, weil die vereinbarte Gegenleistung des Beklagten wertlos gewesen sei. Vielmehr habe die Schuldnerin als Gegenleistung für den Maklerlohn Verträge (Service-Pakete) vermittelt bekommen. Dass der Beklagte durch die Vermittlung von Kunden unwissentlich das betrügerische Schneeballsystem unterstützt habe, begründe als solches keinen insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruch, solange hierdurch die Anspruchsvoraussetzungen dieses Anfechtungstatbestandes nicht verwirklicht würden.
Praxishinweis
Die Entscheidung konkretisiert die ständige Rechtsprechung des BGH zur Anfechtung unentgeltlicher Leistungen. Beim Vorliegen von Schneeballsystemen hat ein Insolvenzverwalter im Regelfall zu prüfen, ob Vermögenstransaktionen zulasten des schuldnerischen Vermögens anfechtbar sind. Neben den Anlegern, die Einlagen zurückerhalten bzw. Zinsen oder sonstige Gewinne ausbezahlt erhalten, kommen als Anfechtungsgegner auch die mit dem Vertrieb beschäftigten Makler oder Vermittler als Anfechtungsgegner in Betracht. Die unwissentliche Involvierung in ein betrügerisches Schneeballsystem an sich führt nicht – quasi als Automatismus – zur Anfechtung von begründeten Provisionsansprüchen des Maklers oder Vermittlers. Vielmehr müssen bei diesem selbst auch die Tatbestandsvoraussetzungen der Anfechtung gegeben sein; im Einzelfall können freilich weitere Umstände hinzutreten, die zu einer Anfechtbarkeit führen, bspw. die Einbeziehung des Maklers oder Vermittlers in die Geschäftsführung des schuldnerischen Unternehmens und das darauf gestützte Sonderwissen (§ 138 InsO) mit den daraus folgenden Beweislastregeln. Die Entscheidung wird daher über den entschiedenen Einzelfall hinaus praktische Relevanz besitzen.
BGH, Urteil vom 10.06.2021 - IX ZR 157/20 (OLG München), BeckRS 2021, 17161