NJW-Editorial
Schadensersatz trotz Vorschaden
NJW-Editorial

Verlangt ein Geschädigter nach einem Verkehrsunfall den Ersatz des ihm entstandenen Schadens, obwohl zu seinem Kfz auch zumindest ein Vorschaden bekannt ist, stoßen in der Schadenregulierung die gegensätzlichen Interessen des Anspruchstellers einerseits und der Versichertengemeinschaft andererseits aufeinander: Der Geschädigte will den neu entstandene Schaden ersetzt erhalten, während der Kfz-Haftpflichtversicherer unfallfremde Vorschäden nicht erstatten und Täuschungsversuche abwehren möchte.

8. Feb 2024

Mit diesem Themenkreis haben sich der BGH in zwei Grundsatzentscheidungen (NJW 2020, 393; NJW-RR 2023, 10) und nunmehr auch der Arbeitskreis VI des 62. Deutschen Verkehrsgerichtstags beschäftigt – Letzterer mit dem Ziel, mit seinen Empfehlungen eine für die Praxis umsetzbare Lösung zu finden. Der Geschädigte trägt zwar die Darlegungs- und Beweislast für den neu eingetretenen Schaden in Abgrenzung zu einem Vorschaden, aber die ­Anforderungen an den Nachweis eines neuen Schadens dürfen im Einklang mit den ­aktuellen Vorgaben des BGH nicht überspannt werden.

Insbesondere wenn dem Geschädigten der Vorschaden beim Erwerb des Kfz verschwiegen wurde, ist er darauf angewiesen, dass der Versicherer die ihm bekannten Einzel­heiten zum Umfang des Vorschadens konkretisiert, damit sodann geprüft werden kann, ob und in welchem Umfang ein neuer Schaden eingetreten ist. In diesem Fall kann es sich nach der Empfehlung des Arbeitskreises anbieten, dass beide Seiten einen Dialog aufnehmen und die Höhe eines möglichen neuen Schadens durch eine gemeinsame Untersuchung des Kfz geklärt wird – eine Vorgehensweise, die nach der Erfahrung des Verfassers leider in der Praxis oftmals zu kurz kommt, weil entweder der Anspruchsteller sein Fahrzeug nicht durch einen Gutachter des Haftpflichtversicherers unter­suchen lassen oder der Versicherer diesen Aufwand nicht tätigen möchte.

Ist ihm ein Vorschaden aber bekannt, muss der Geschädigte auch zu den wesentlichen Parametern einer möglicherweise durchgeführten Reparatur des Vorschadens vortragen, und dafür ist er wiederum auf qualifizierte Feststellungen der eingeschalteten Sachverständigen angewiesen. Hierauf geht der Arbeitskreis mit seinen ersten beiden Empfehlungen ein: So wird der Sachverständige zum einen verpflichtet, das Fahrzeug durch persönliche Inaugenscheinnahme auf Vorschäden zu untersuchen. Zum anderen soll eine Bestätigung über die Reparatur des Kfz eine qualifizierte Bewertung des Reparaturergebnisses und Angaben zum konkreten Reparaturweg enthalten. Wenn diese Vorgaben beachtet werden, dürfte es für den redlichen Geschädigten keine unlösbare Herausforderung mehr darstellen, dass sein berechtigter Anspruch bei einem reparierten Vorschaden erfüllt wird.

Rechtsanwalt Dr. Michael Nugel ist Fachanwalt für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht sowie​ Partner der Kanzlei Grunewald, Nugel & Collegen in Essen.