Anmerkung von
Senator E. h. Ottheinz Kääb, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, München
Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 23/2022 vom 24.11.2022
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StVG § 7 I; BGB § 823 I
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt ein kommunales Nahverkehrsunternehmen. Sie nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer auf Schadenersatz in Anspruch und behauptet, bei der Beklagten versicherte Fahrzeuge seien an insgesamt vier Verkehrsunfällen beteiligt gewesen. Sie hätten dabei die von Straßenbahnen der Klägerin genutzten Gleise blockiert. Dadurch seien der Klägerin in allen vier Fällen Kosten entstanden für Schienenersatzverkehr, Dispacher-Einsätze sowie für die Halterermittlung und Kostenpauschalen.
Das Amtsgericht hatte die Beklagte verurteilt, das Landgericht die Klage dagegen abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche auf Schadenersatz in gleichem Umfang wie schon zu Beginn des Prozesses weiter. In dem hier mitgeteilten Urteil wird die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Rechtliche Wertung
Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin keinen Anspruch, denn sie könne als Anspruchsgrundlage nicht auf §§ 7, 18 StVG und § 115 Abs. 1 VVG zurückgreifen. Der Tatbestand des § 7 StVG knüpfe an einen Eingriff in die Sachsubstanz an und sei enger gefasst als der Schadenbegriff des § 823, welcher auch andere Eingriffe in das Eigentum umfasse. Die Gleise seien in ihrer Substanz indes nicht beschädigt. Lediglich die Nutzbarkeit sei vorübergehend ganz oder teilweise aufgehoben gewesen. Solche vorübergehenden Nutzungseinschränkungen stellten aber noch keine erhebliche Beeinträchtigung dar. Ein Anspruch aus § 823 BGB könne auch nicht auf einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gestützt werden, da dieser bereits an der Subsidiarität scheitere und darüber hinaus die Rechtswidrigkeit der Eingriffe fehle.
Dem widerspricht der BGH. Ansprüche der Klägerin, gestützt auf § 7 StVG, könnten nicht verneint werden. Der Schadenbegriff des § 7 StVG («eine Sache beschädigt») entspreche dem des § 823 Abs. 1 BGB («Eigentum verletzt»). Voraussetzung sei immer, dass die Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Verwendung der Sache ihren Grund in einer unmittelbaren Einwirkung auf die Sache selbst habe. Die Intensität der Nutzungsbeeinträchtigung folge hier bereits aus dem Entzug des bestimmungsgemäßen Gebrauchs.
Abzugrenzen sei diese Auffassung lediglich von Fällen, in denen die bestimmungsgemäße Verwendung nicht, auch nur vorübergehend, entzogen wird, sondern nur die Möglichkeit ihrer Nutzung eingeengt wird. Letzteres sei etwa dann anzunehmen, wenn ein Fahrzeug unter Beibehaltung seiner Bewegungsmöglichkeit im Übrigen an einer konkret geplanten Fahrt gehindert und seine Nutzung dadurch lediglich zeitweilig beschränkt wird. Solche Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeit lägen etwa bei der Sperrung einer Autobahn und damit der Unmöglichkeit der Nutzung einer Abfahrt zu einer Rastanlage oder bei der vorübergehenden Einengung der Möglichkeit der Nutzung einer Autobahn durch einen auf dem Verzögerungsstreifen befindlichen und teilweise in die rechte Fahrbahn hineinragenden Sattelzug vor. In diesen Fällen lägen keine Eigentumsverletzungen vor.
Die Blockade durch ein verunfalltes Fahrzeug mit der Folge, dass das Gleis nicht befahren werden kann, stelle indes eine Sachbeschädigung bzw. Eigentumsverletzung dar. Die Klägerin habe für alle vier Fälle diese Tatsachen vorgetragen. Die Schadenersatzpflicht sei durch den Schutzzweck der Norm begrenzt. Jedenfalls grundsätzlich fehle es bei der Blockade einer Schiene durch ein verunfalltes Kraftfahrzeug aber nicht am Zurechnungszusammenhang des haftungsbegründenden Tatbestands. Allein der Umstand, dass sich derartige Fälle häufiger ereignen, ändere nichts daran, dass sich im Wegfall der Nutzbarkeit einer Schiene im Einzelfall das vom jeweiligen Schädiger gesetzte besondere Risiko und nicht nur ein allgemeines Risiko verwirkliche. Ob im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität der Zurechnungszusammenhang sich für jede einzelne der geltend gemachten Schadenpositionen der Zurechnungszusammenhang ergibt, habe das Berufungsgericht nun zu prüfen.
Praxishinweis
Der Sachverhalt ist ganz einfach, die rechtliche Lösung indes wirft grundsätzliche Fragen auf und das hier vorgestellte Urteil wird auch in Zukunft immer wieder im Verkehrsrecht eine große Rolle spielen. Diese Entscheidung wird in Fällen dieser Art von vorne herein bei der Anspruchsbegründung zu berücksichtigen sein. Die Rechtsprechung ist umfassend aufbereitet. Für die Praxis ist das Urteil von großer Bedeutung.
BGH, Urteil vom 27.09.2022 - VI ZR 336/21 (LG Dresden), BeckRS 2022, 29708