Kolumne
Sandkastenspiele
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© Frank Eidel
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Wenn man von Sandkastenspielen spricht, dann hat das einen leicht despektierlichen Klang: Dann ist etwas nicht ernstzunehmen und taugt nicht für das richtige Leben, schon gar nicht für „seriöse Politik in harten Zeiten“, wie es mal vor kaum 20 Jahren in der Süddeutschen hieß. Kinderkram eben, obwohl: Im Sandkasten lernt man, probiert spielerisch etwas aus, kann buddeln und bauen, alles wieder platt machen und neu aufbauen, man kann seiner Phantasie ungehindert Raum lassen. Herrlich und für die gesunde Entwicklung unverzichtbar, aber nun ja, Kinderkram eben, nicht das richtige Leben.

18. Nov 2021

So etwas wie eine regulatory sandbox – Sandkastenregulierung – hätte bei uns schon rein sprachlich keine Chance. Engländer sind aber unbefangener als wir, dort gibt es etwa racial diversity, was hierzulande kaum unfallfrei zu übersetzen ist. In einer regulatory sandbox ist es möglich, in einem realen Umfeld unter Aufsicht innovative Dienstleistungen oder Produkte zu testen, die nicht vollständig mit dem bestehenden Rechts- oder Regulierungsrahmen übereinstimmen. Eigentlich gar nicht so dumm, denn wie soll man das, was Digitalisierung und digitale Transformation ermöglichen, ausprobieren, wenn der Rechtsrahmen aus der analogen Vergangenheit stammt und als zu starr, zu hemmend und zu komplex wahrgenommen wird? Gleich das ganze Gesetz ändern ist vielleicht auch nicht klug, wenn man nicht weiß, ob eine technische Neuerung segensreich ist oder nicht.

Solchen Einsichten verschließt man sich in Deutschland nicht, aber wegen der negativen Konnotation des Sandkastens unter Erwachsenen spricht man von Reallaboren. Das klingt etwas hochtrabender und meint in der Sozialwissenschaft eine Kooperation zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft, in der das gegenseitige Lernen in einem experimentellen Umfeld im Vordergrund steht. Um gelockerte Rechtsrahmen geht es da eher nicht. Sei es, wie es sei, das BMWi hat unlängst ein Konzept für Reallabore vorgelegt, um mit gesetzlichen Experimentierklauseln Innovationen im wirklichen Leben testen zu können. Man hat auch gleich konkrete Anwendungsfelder genannt, etwa „datengetriebene KI-Anwendungen im Bereich moderner Mobilität oder Industrie 4.0, innovative digitale Identifizierungsverfahren (z.B. für den digitalen Führerschein) sowie digitale Rechtsdienstleistungen und -verfahren“. Wir auf dem Rechtsmarkt stehen also ganz oben auf der Agenda.

Natürlich wird es noch dauern, bis es ein bundeseinheitliches Reallaborgesetz gibt, denn was für den einen Innovation ist, empfindet ein anderer als Teufelszeug, das kennen wir aus den Diskussionen um das Legal-Tech-Gesetz. Aber da hatte der Bundestag mit der Verabschiedung des Gesetzes bereits beschlossen, die Neuregelung sogleich zu evaluieren und weiterzuentwickeln, das liegt jetzt bei den Verbänden. Bevor wir wieder aufeinander losgehen: Wollen wir nicht mal über eine Experimentierklausel für BRAO und RDG nachdenken? Experimente unter Aufsicht der BRAK? Das muss kein Oxymoron sein.

Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Mediator in Berlin, Senior Fellow des Bucerius Center on the Legal Profession und Mitglied des Berufsrechtsausschusses des DAV.