Urteilsanalyse
Rückwirkende Heilung eines Vertretungsmangels
Urteilsanalyse
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Ein Vertretungsmangel kann nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofs gemäß § 89 Abs. 2 ZPO dadurch geheilt werden, dass ein Gläubiger die ohne beigebrachte Vollmacht vorgenommenen Prozesshandlungen genehmigt. Dies ist in jeder Lage des Verfahrens möglich. 

31. Aug 2022

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 17/2022 vom 26.08.2022

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Sachverhalt

Der am 6.1.2001 geborene G ist der leibliche Sohn des S. G betreibt die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsforderungen. Am 10.3.2017 beantragt in Vertretung des G der Landrat des Kreises B den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, mit dem Ansprüche des S auf Arbeitseinkommen gepfändet und G zur Einziehung überwiesen werden sollen. Die Mutter des G hatte den Landrat zuvor bevollmächtigt, wegen der Unterhaltsansprüche die Zwangsvollstreckung gegen S zu betreiben und die gepfändeten Beträge entgegenzunehmen. Außerdem hatte sie den Landrat zuvor ermächtigt, gegen Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts Rechtsmittel einzulegen und G in den durch die Zwangsvollstreckung eventuell notwendigen Gerichtsverfahren zu vertreten. Seinem Antrag auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses fügt der Landrat diese Vollmacht nicht bei.

Das AG erlässt am 7.4.2017 den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Der Erinnerung des S hilft es teilweise ab (es setzt den pfändungsfreien Selbstbehalt herauf) und weist sie im Übrigen zurück. Die sofortige Beschwerde des S weist das Beschwerdegericht zurück. Mit der durch das Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt S sein Begehren, gerichtet auf Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, weiter. Im Rechtsbeschwerdeverfahren genehmigt der inzwischen volljährige G seine gerichtliche Vertretung durch den Landrat.

Entscheidung: Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg!

Zwar habe der Landrat dem Pfändungsgesuch als verfahrenseinleitender Prozesshandlung keinen Nachweis seiner Vollmacht beigefügt. Der Mangel, der nicht zur Nichtigkeit geführt habe, sei aber geheilt worden. Denn G habe im Rechtsbeschwerdeverfahren die Prozesshandlungen des Landrats ausdrücklich genehmigt (§ 89 Abs. 2 ZPO). Diese Genehmigung habe rückwirkend auf den Zeitpunkt der Vornahme der Prozesshandlung den prozessualen Mangel der vollmachtlosen Prozessführung geheilt (Hinweis auf GmS-OGB BGHZ 91, 111 – juris Rn. 13 = BeckRS 1984, 3118). Dies sei auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren möglich gewesen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen sei nämlich der Schluss der mündlichen Verhandlung bzw. der Zeitpunkt der Beschlussfassung. Deshalb könne ein Vertretungsmangel in jeder Lage des Verfahrens, also auch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in der jeweiligen Instanz geheilt werden (Hinweis auf BGH NJW 2021, 1956 Rn. 10).

Praxishinweis

Im Parteiprozess muss der Vertreter seine Bevollmächtigung schon bei Antragstellung durch Vorlage einer Originalvollmacht nachweisen. § 80 S. 1 ZPO bestimmt insoweit, dass der Nachweis der Vollmacht durch Einreichung der schriftlichen Vollmachtsurkunde zu den Gerichtsakten zu führen ist, was die Einreichung der Originalurkunde erfordert (BGH BeckRS 2022, 14800 Rn. 14 = FD-ZVR 2022, 450339 mAnm Elzer). Das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - ist gem. § 88 Abs. 2 ZPO zur Prüfung dieser Vollmacht von Amts wegen verpflichtet (BGH NJW-RR 2002, 933 – juris Rn. 8).

Der BGH hat den Landrat im Übrigen nach § 79 Abs. 3 S. 1 ZPO als Bevollmächtigten zurückgewiesen, weil ihm die Vertretungsbefugnis für das Zwangsvollstreckungsverfahren fehlte. Denn nach allgemeiner Meinung würden für das Zwangsvollstreckungsverfahren nach §§ 704 ff. ZPO neben den spezifischen Verfahrensvorschriften die allgemeinen prozessualen Regelungen der §§ 1 bis 252 ZPO sinngemäß gelten (Hinweis auf BGH NJW 2011, 929 Rn. 21), also auch die Regelungen über die Vertretung nach §§ 78 ff. ZPO. Auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hatte die Zurückweisung allerdings keinen Einfluss. Denn der den Bevollmächtigten vom Verfahren ausschließende Beschluss wirkt konstitutiv und entfaltet keine Rückwirkung; die bis zum Zurückweisungsbeschluss durch den Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen bleiben gem. § 79 Abs. 3 S. 2 ZPO wirksam (s. auch BGH NJW-RR 2010, 1361 Rn. 5), soweit die sonstigen Wirksamkeitsvoraussetzungen vorliegen.


BGH, Beschluss vom 29.06.2022 - VII ZB 14/19 (LG Köln), BeckRS 2022, 20178