Anmerkung von
Senator E. h. Ottheinz Kääb, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, München
Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 15/2022 vom 04.08.2022
Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Straßenverkehrsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Straßenverkehrsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Straßenverkehrsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de
StVG §§ 24, 25; StVO §§ 5 I, 37 II Nr. 1 Satz 7, 41 I; Anlage zur StVO lfd. Nrn. 67, 70 (Zeichen 294, 297); Anlage 3 zur StVO lfd. Nr. 22 (Zeichen 340)
Sachverhalt
Der Betroffene wurde wegen fahrlässigen Rotlichtverstoßes bei Rotlicht von mehr als einer Sekunde in Tateinheit mit Rechtsüberholen zu einer Geldbuße von 215 EUR verurteilt. Ihm wurde zudem ein Fahrverbot von einem Monat auferlegt. Er legte Rechtsbeschwerde ein und rügte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Der Betroffene war mit einem Kraftfahrzeug auf einer Straße, zu der parallel Bahngleise verlaufen, gefahren. Am Tatort des Vergehens teilt sich die Straße mit jeweils aufgebrachten Richtungspfeilen in eine Geradeausspur und eine Rechtsabbiegespur, die unmittelbar zu einem beschrankten Bahnübergang führt. Die Fahrspuren verfügen über getrennte Lichtzeichenanlagen. Wenn eine Bahn sich nähert, leuchtet das Rotlicht für die Geradeausspur und das mit einem Pfeil versehene Rotlicht für die Rechtsabbiegespur. Nach dem Schließen der Bahnschranken erlischt das Rotlicht für die Geradeausspur, während es für die Rechtsabbiegespur rot bleibt, bis die Schranke sich wieder öffnet.
Als der Betroffene sich der Lichtzeichenanlage näherte, fuhr er auf der Geradeausspur. Das Rotlicht war hier gerade erloschen, während es auf der Rechtsabbiegerspur weiterhin leuchtete. Vor dem Betroffenen fuhr ein Fahrzeug mit 10 oder 20 km/h. Um dieses zu überholen, wechselte der Betroffene auf die Rechtsabbiegespur und überholte kurz vor der Haltlinie den auf der Geradeausspur fahrenden Pkw. Dabei überfuhr er auf der Rechtsabbiegerspur bei länger als einer Sekunde aufleuchtendem Rotlicht die Haltlinie. Anschließend fuhr er weiter auf der Geradeausspur.
Rechtliche Wertung
Die Rechtsbeschwerde blieb erfolglos. Soweit eine Verletzung der Aufklärungspflicht gerügt wurde, war die Rechtsbeschwerde unzulässig, weil sie den Begründungsanforderungen des Gesetzes nicht entsprach. Es sei schon keine bestimmte Behauptung einer konkreten Tatsache genannt worden. Auch solle «ein zweiter Polizeibeamter» vernommen werden. Aus dem Gesamtzusammenhang der Begründung könne lediglich entnommen werden, dass der Betroffene bezweifelt, dass der als Zeuge vernommene Polizeibeamte die Haltlinie habe erkennen können. Die bloße Mitteilung, dass die Haltlinie von der vom Zeugen behaupteten Position «kaum zu erkennen» sei, stelle aber keine konkrete Tatsache dar.
Beim Überqueren der Haltlienie habe sich der Betroffene jedenfalls mit zwei Rädern auf der Rechtsabbiegespur befunden. Das reiche für die Bejahung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes (bei Annahme des Vorliegens der weiteren Voraussetzungen). Es sei auch von einer Missachtung des Rotlichts auszugehen. Eine durch Missachtung der Haltlinie verwirklichte Ordnungswidrigkeit liege vor, weil die Haltlinie entscheidend für die Beurteilung der Stelle sei, an der eben angehalten werden müsse.
Dass das Amtsgericht lediglich von Fahrlässigkeit ausgegangen sei, beschwere den Betroffenen nicht, denn nach den maßgeblichen Urteilsfestellungen hätte vorsätzliches Verhalten jedenfalls nahegelegen. Der Betroffene habe auch gegen das Fahrtrichtungsbeibehaltungsgebot verstoßen, weil er der Verpflichtung zur Beibehaltung der durch Pfeile markierten Fahrtrichtung zuwider gehandelt habe. Dieser Verstoß sei vorsätzlich begangen worden.
Praxishinweis
Das «Überholen» vor richtig eingeordneten Fahrzeugkolonnen an rotlichtzeigender Ampel ist eine im Großstadtverkehr häufig anzutreffende Sünde, die starken Unwillen der zu Unrecht Überholten hervorruft. Ordnungswidrig, und zwar vorsätzlich ordnungswidrig, ist dies allemal.
BayObLG, Beschluss vom 07.06.2022 - 202 ObOWi 678/22, BeckRS 2022, 16997