NJW-Editorial
Risiko Lieferketten
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Foto_Leonhard_Huebner_WEB
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Die aktuelle Diskussion um Sorgfaltspflichten von Inlandsunternehmen zielt auf die Verbesserung der Menschenrechtslage in grenzüberschreitenden Lieferketten ab. An diesem Maßstab muss sich jede nationale wie internationale Regulierung messen lassen. Vor allem gilt dies für das Lieferkettengesetz, auf das sich die Bundesregierung jüngst in einem Kompromiss geeinigt hat.

24. Mrz 2021

Dessen Fixpunkt bildet die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Unternehmen bestehend aus Pflichten zur Risikoanalyse, zu Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie zu Dokumentations- und Berichtspflichten. Damit führt der Gesetzgeber eine neuartige, weitreichende Form des Risikomanagements ein, die rechtspolitisch wie rechtsdogmatisch umstritten ist.

Exemplarisch für die Brisanz steht die Debatte um die Reichweite der Sorgfaltspflicht. Konkret geht es darum, ob die Pflicht über den unmittelbaren Zulieferer hinaus auch die mittelbaren erfasst. Grundsätzlich gilt: Je tiefer man in die Lieferkette vordringt, desto größer sind regelmäßig die menschenrechtlichen Risiken. Jedoch sind die Einflussmöglichkeiten für deutsche Unternehmen als Abnehmer – wenn überhaupt – oftmals sehr begrenzt. Die Bundesregierung hat sich nun entschieden, die Sorgfaltspflichten im Prinzip auf unmittelbare Zulieferer zu beschränken. Daneben ist der regelmäßig proklamierte smart mix aus öffentlich- und zivilrechtlicher Durchsetzung dem Koalitionskompromiss zum Opfer gefallen: Das Lieferkettengesetz setzt allein auf eine behördliche Kontrolle inklusive Bußgeldbewehrung. Zivilrechtlich ist indes keine Haftungsregel samt kollisionsrechtlicher Flankierung vorgesehen, sondern allein eine besondere Prozessstandschaft für Gewerkschaften und NGOs. Ob das Gesetz indirekt auf das Zivil- und Kollisionsrecht ausstrahlt, ist völlig offen.

Verfechter einer weitreichenderen Regelung dürfen dennoch hoffen. Die EU-Kommission und das Europäische Parlament diskutieren im Zuge des Green Deal die Einführung einer Richtlinie, die deutlich über die deutsche Regelung hinausginge. Wettbewerbspolitisch wäre eine europäische einer rein nationalen Regelung überlegen, schaffte sie doch ein level playing field innerhalb der EU. Wie die Erfahrungen mit dem französischen Pioniergesetz (loi de vigilance) zeigen, muss das Lieferkettengesetz nicht zum „Absturz“ der deutschen Außenwirtschaft führen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das Gesetz den Unternehmen umfangreiche zusätzliche Compliance-Pflichten auferlegt. Entscheidend für eine rechtssichere Ausgestaltung wird sein, ob die normativen Anforderungen bis zur Wirksamkeit des Gesetzes ab dem 1.1.2023 noch weiter konkretisiert werden, so dass Unternehmen ihr Risikomanagement entsprechend kalibrieren können. Gelingt dies, kann das Gesetz ein „legislativer Exportschlager“ werden und einen Beitrag zur Lösung des eigentlichen Sachproblems leisten: der Verbesserung der Bedingungen für die Menschen vor Ort. •

PD Dr. Leonhard Hübner, MJur (Oxford), Universitäten Heidelberg/Osnabrück.