Anmerkung von
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 21/2020 vom 16.10.2020
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Sachverhalt
K macht Schadensersatzansprüche gegen B als Herstellerin eines Pkw (Mercedes) geltend. Das LG weist die Klage ab. K legt dagegen Berufung ein. X, der Vorsitzende des Berufungssenats, zeigt nach § 48 ZPO an, er sei seit Jahren Halter eines Mercedes, eines Dieselfahrzeugs der Abgasnorm Euro 5. Nach Rücksprache mit der technischen Beratung des ADAC habe er entschieden, das ihm von B angebotene Update nicht durchführen zu lassen. Der ADAC habe ihm nicht sagen können, ob die Maßnahme negative Folgen habe. Derzeit prüfe er, ob er den Händler oder B in Anspruch nehmen werde. Hierzu habe er einen Vertragsanwalt des ADAC um Rat gebeten. Die Antwort stehe noch aus.
Gestützt auf diese Erklärungen lehnt B den X wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das OLG erklärt die Selbstablehnung des X für unbegründet und weist auch das Ablehnungsgesuch zurück. Ein Ablehnungsgrund liege nicht vor. Es bestehe kein auch nur mittelbares Eigeninteresse des X am Ausgang des Rechtsstreits. Der Gedanke, die Stellung des X als möglicher Kläger in einem „Abgasfall“ könne verbessert werden, wenn er als Mitglied des Spruchkörpers dabei mitwirke, eine „käuferfreundliche“ Rechtsprechung zu entwickeln, erscheine fernliegend. Richtungsweisende Entscheidungen seien einzig durch höchstrichterliche Entscheide zu erwarten. Dagegen wendet sich B mit der vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde.
Entscheidung: Die Rechtsbeschwerde ist begründet, da die Überlegung des X, zu klagen, reiche!
Schilderung der Maßstäbe
Eine Ablehnung wegen Befangenheit gem. § 42 II ZPO könne begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend mache. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche geltend mache, könne Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt habe, auf das Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liege, übertrage und wie in der eigenen Sache urteile (Hinweis auf BGH NJW 2020, 1680 Rn. 10 = FD-ZVR 2020, 425885 (Ls.) = IBR 2020, 160 mAnm Elzer). Entsprechendes gelte, wenn der Richter Ansprüche gegen die Partei bislang nicht geltend gemacht habe, dies aber ernsthaft in Erwägung ziehe.
Anwendung der Maßstäbe
Nach diesen Maßstäben liege ein Ablehnungsgrund vor. Seiner dienstlichen Äußerung zufolge prüfe X, nachdem er sich gegen das Software-Update entschieden habe, ob er den Händler oder B in Anspruch nehme. Die Ernsthaftigkeit dieser Prüfung ergebe sich daraus, dass er einen Vertragsanwalt des ADAC um Rat gebeten habe. Auch gehe sein Interesse über eine bloße Sozialbefangenheit oder Gruppenbetroffenheit hinaus. Denn es bestehe die Möglichkeit, dass X im Rechtsstreit den gleichen Sachverhalt und die gleichen Rechtsfragen wie in eigener Sache (dort mit anwaltlicher Hilfe) zu beurteilen habe. Dies sei vom Standpunkt der B aus geeignet, bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des X aufkommen zu lassen.
Praxishinweis
Nach § 42 II ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (stRspr, vgl. nur BGH NJW 2020, 1680 Rn. 9 = FD-ZVR 2020, 425885 (Ls.) = IBR 2020, 160 mAnm Elzer). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt bereits der „böse Schein“, d.h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (siehe nur BVerfG NJW 2012, 3228 Rn. 13). Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines Richters ist ua dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen, sei es auch nur mittelbaren wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht (BGH NJW 2020, 1680 Rn. 9 = FD-ZVR 2020, 425885 (Ls.) = IBR 2020, 160 mAnm Elzer).
Nach diesem Maßstab ist es offensichtlich richtig, dass ein Richter, der selbst gegen VW wegen des „Dieselskandals“ klagt, aus Sicht von VW in Fällen, die Bezug zu diesem „Skandal“ haben, befangen ist (so der BGH NJW 2020, 1680 Rn. 9 = FD-ZVR 2020, 425885 (Ls.) = IBR 2020, 160 mAnm Elzer). Für die „Daimler-Fälle“ kann dann nichts anderes gelten. Dabei reicht schon – und das ist neu – dass der Richter ernsthaft erwägt zu klagen.
BGH, Beschluss vom 28.07.2020 - VI ZB 93/19, BeckRS 2020, 24484