NJW-Editorial
Rettung des EU-Asylsystems
NJW-Editorial

Nachdem das Europäische Parlament der GEAS-Reform am 10.4. zugestimmt hat, folgte am 14.5. auch die Beschlussfassung durch den Rat der Europäischen Union sowie die Unterzeichnung des Gesetzes. Obwohl dies nach fast zehn Jahren Verhandlungen als bedeutsamer Meilenstein einzuordnen ist, wurde dadurch der politische Streit im Bereich der EU-Asylpolitik nicht einmal für einen kurzen Moment befriedet. Bereits vor dem Ratsbeschluss hatten die Regierungen von 15 Mitgliedstaaten die Europäische Kommission aufgefordert, an neuen Lösungen für eine einfachere Rückführung von ­Migranten in Drittstaaten zu arbeiten.

13. Jun 2024

Der Grund dafür sei die steigende irreguläre ­Migration in die Europäische Union. Auch in Deutschland wird derzeit durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat aufgrund einer Vereinbarung des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten geprüft, ob und in welcher Weise eine Externalisierung von Anerkennungsverfahren und Aufnahme von Schutzsuchenden („Ruanda-Modell“) rechtlich zulässig wäre.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Umsetzung der jetzt beschlossenen GEAS-Reform nicht nur als eine große Herausforderung für alle beteiligten Akteure, sondern stellt zugleich vermutlich die letzte große Bewährungsprobe für das bisherige menschenrechtsbasierte Schutzsystem auf der Grundlage eines Anspruchs einer individuellen Prüfung jedes zulässigen Antrags dar, den man als Kerngehalt des bisherigen GEAS bezeichnen kann. Da die Abkehr von diesem Modell inzwischen nicht nur von extremen politischen Akteuren gefordert wird, sondern auch Eingang in die Programmatik bürgerliche Parteien gefunden hat, ist die Lage ernst. Das wird die einen erfreuen, anderen jedoch Anlass zu Besorgnis ein.

Solange das jetzt beschlossene reformierte GEAS gilt, muss die Rückkehr zu einer am beschlossenen Recht ausgerichteten Praxis die erste Priorität haben. Das fatale des bisherigen Zustands war und ist die Nichtbeachtung von Recht. Deshalb kommt es jetzt darauf an, die neuen Regeln, Verfahren und Steuerungsinstrumente in der vorgesehenen Zeit von zwei Jahren zu implementieren und wirksam werden zu lassen. Nur so kann der Schutz der Rechte von Schutzsuchenden, aber auch das Interesse der Mitgliedstaaten an einer besser gesteuerten Migration gewahrt und der Fortbestand des GEAS gesichert werden. Kernelemente sind dabei das neue und aufwändige Grenzverfahren, die neue jährliche Planung und Kapazitätsbildung sowie der komplexe Solidaritätsmechanismus. Die Komplexität sollte aber nicht vorschnell als Grund des Scheiterns, sondern als Chance für eine neue und konstruktive Form der Kooperation verstanden und angenommen werden. Auch der deutsche Föderalismus ist nicht einfach in seinen Abläufen und gleichwohl nach 75 Jahren Grundgesetz immer noch ein Modell, das ganz überwiegend Zustimmung erfährt.

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Prof. Dr. Winfried Kluth ist Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Leiter der Forschungsstelle Migrationsrecht.