Anmerkung von
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 18/2021 vom 03.09.2021
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Sachverhalt
Die Kläger K klagten gegen B auf Zahlung von 405.350 EUR. K stützten ihre Ansprüche auf Bereicherung sowie unerlaubte Handlung im Hinblick auf eine behauptete Zusammenarbeit der B mit ihrem Ehemann als ehemaligen Gesellschafter und Geschäftsführer einer Gesellschaft sowie darauf, dass aufgrund der Liquidation der Gesellschaft die Kläger als weitere Gesellschafter berechtigt seien, die Forderungen gegen B unmittelbar geltend zu machen. Die Klage blieb erfolglos.
Nach Abschluss des Prozesses legt B in einem anderen Verfahren eine von ihr und ihrem Ehemann unterzeichnete Abtretungserklärung vor, wonach dieser seinen Gesellschaftsanteil seit langem an die Beklagte abgetreten hatte. Unter Vorlage der Abtretungserklärung beantragen die Kläger die Wiederaufnahme des ursprünglichen Klageverfahrens im Wege der Restitutionsklage. Das Berufungsgericht hebt daraufhin den im Vorprozess ergangenen, die Berufung der Kläger gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichtes zurückweisenden Beschluss auf, ändert das landgerichtliche Urteil teilweise ab und fasst es neu. Mit der vom BGH zugelassenen Revision verfolgt B ihren Klageabweisungsantrag weiter. Mit Erfolg!
Entscheidung: Die Restitutionsklage ist unstatthaft und daher unzulässig!
Es sei unzulässig, mit der Restitutionsklage einen neuen Streitgegenstand einzuführen. So liege es aber. Denn die Lebenssachverhalte im Vorprozess und im Restitutionsverfahren unterschieden sich so wesentlich, dass kein „einheitlicher Streitgegenstand“ angenommen werden könne. Die Kläger hätten B im Vorprozess als außerhalb der Gesellschaft stehende Dritte, als Gesellschaftsschuldnerin bzw. als Mittäterin einer unerlaubten Handlung in Anspruch genommen. Nunmehr machten sie geltend, B sei als Mitgesellschafterin und aufgrund der im Restitutionsverfahren zusätzlich vorgelegten Auseinandersetzungsrechnung zur Zahlung verpflichtet.
Praxishinweis
Der Streitgegenstand wird durch das Rechtsschutzbegehren (Antrag) und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet. Zum Anspruchsgrund sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den eine Partei zur Stützung ihres Rechtsschutzbegehrens vorträgt. Vom Streitgegenstand werden damit alle materiell-rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen. Das gilt unabhängig davon, ob die einzelnen Tatsachen des Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht.
Allerdings können verschiedene materiell-rechtliche Ansprüche auch dann, wenn sie wirtschaftlich auf das Gleiche gerichtet sind und der Kläger die Leistung einmal verlangen kann, unterschiedliche Streitgegenstände aufweisen. Dies kommt insbes. dann in Betracht, wenn die Ansprüche sowohl in ihren materiell-rechtlichen Voraussetzungen als auch in ihren Folgen verschieden sind. Entscheidend ist, ob sich die dem jeweiligen Anspruch zugrundeliegenden Lebenssachverhalte in wesentlichen Punkten unterscheiden oder ob es sich nur um marginale Abweichungen handelt, die bei natürlicher Betrachtung nach der Verkehrsauffassung keine Bedeutung haben (BGH NJW 2021, 928 Rn. 13).
BGH, Urteil vom 03.08.2021 - II ZR 283/19, BeckRS 2021, 23622