Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 18/2020 vom 25.09.2020
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Sachverhalt
Der Kläger wendet sich mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) gegen ein Urteil des LSG Berlin-Brandenburg. Als Empfänger von Leistungen nach dem SGB II beanstandet er u.a., dass ab 01.01.2011 zu seinen Gunsten keine Rentenversicherungsbeiträge entrichtet werden, sondern die Zeiten des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II nur als Anrechnungszeiten gem. § 58 SGB VI in den Rentenverlauf aufgenommen werden.
Entscheidung
Das BSG weist die Beschwerde als unzulässig zurück. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Abschaffung der Rentenversicherungspflicht im Hinblick auf die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG habe der Kläger nicht ausreichend dargelegt, wie es zu der von ihm behaupteten „Entwertung“ bislang erworbener Anwartschaften kommen kann. Im Übrigen bezieht er sich zwar auf die Rechtsprechung des BVerfG zum Schutz von Rentenanwartschaften, legt aber nicht dar, inwieweit wegen dieser Rechtsprechung, die auf die nicht unerhebliche Eigenleistung des Versicherten als Grund für den Schutz über Art. 14 GG abstellt, Klärungsbedürftigkeit bestehen kann. Das Argument, die von ihm zitierten Entscheidungen aus den Jahren 1980 und 1985 seien zu alt, daher sei eine Breitenwirkung für die Allgemeinheit zu erwarten, kann eine substantielle Auseinandersetzung mit obergerichtlichen Entscheidungen nicht ersetzen. Das BVerG habe in jüngeren Entscheidungen die Bedeutung nicht unerheblicher Eigenleistungen des Versicherten für den Eigentumsschutz von Rentenanwartschaften aufgegriffen (z.B. BVerfG, BeckRS 2010, 52581 u.a.).
Praxishinweis
1. Ob die NZB den Anforderungen gem. §§ 160, 160a SGG genügte, kann ohne Kenntnis des klägerischen Vortrags im Einzelnen hier nicht beurteilt werden. Wer Leistungen nach dem SGB II bezieht, kann allerdings aktuell wohl kaum mit Erfolg rügen, die Rechtsänderung zum 31.12.2010 sei verfassungswidrig. Nach dem Bezug von SGB II-Leistungen werden diese Zeiten rentensteigernd gem. § 58 SGB VI berücksichtigt. Den Kritikern an der Rechtsänderung wurde damals entgegengehalten, dass den Betroffenen bezogen auf die Rentenhöhe durch die „Umwandlung“ von Beitrags- in Anrechnungszeiten kein oder allenfalls nur ein geringer Nachteil entstehe.
2. Bei der zum 01.01.2021 eingeführten Grundrente werden die Zeiten des Bezugs von SGB II – einerlei, ob Beitrags- oder Anrechnungszeiten – nicht als „Grundrentenzeiten“ gem. § 76g SGB VI berücksichtigt. Gleiches gilt für Zeiten, die „nur“ mit freiwilligen Beiträgen belegt sind (dazu BT-Drucks. 19/18473, S. 36). Wer sich daraus ergebende „Nachteile“ bei der Rente (im Vergleich zu demjenigen, dessen Rente auf die „Grundrente“ aufgestockt wird) beanstandet, müsste dazu wohl auf den Gleichheitssatz gem. Art. 3 GG abstellen. Dies tut z.B. Ruland in seinem Gutachten zur Verfassungswidrigkeit der Grundrente, herausgegeben im Auftrag der Initiative „Neue soziale Marktwirtschaft“, 2020, Rn. 36 ff., allerdings mit einer anderen Zielrichtung: Er vergleicht Versicherte, die trotz einer gleichen Zahl von Entgeltpunkten unterschiedlich hohe Renten erhalten bzw. trotz höhere Zahl von Entgeltpunkten unter Umständen niedrigere Leistungen erhalten. Als Beispiel verweist er auf eine Rente, die in einem kürzeren Zeitraum als 33 Jahren erarbeitet wurde.
3. Kommt es zur Erwerbsminderung, verlängert der Bezug von SGB II-Leistungen gem. § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI den Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung. Damit werden die Empfänger von Leistungen nach dem SGB II nicht zu 100 % den Personen gleichgestellt, für die Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet wurden, da die Zeiten des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II nicht zu den sog. Vorversicherungszeiten von 36 Monaten gem. § 43 Abs. 1 Nr. 2 und § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI gehören.
BSG, Beschluss vom 30.06.2020 - B 14 AS 153/19 B, BeckRS 2020, 17386