Rechtsanwalt Martin Schafhausen, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 16/2022 vom 05.08.2022
Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Sozialversicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Sozialversicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Sozialversicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de
Sachverhalt
Der Kläger wendet sich gegen die Beitragserhebung zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit von August 2017 bis März 2019. Er war seit August 1974 Pflichtmitglied des Zahnärztlichen Versorgungswerks Westfalen-Lippe und entrichtete Pflichtbeiträge an das Versorgungswerk. Ab 01.12.1977 war er freiwilliges Mitglied. Seit Februar 2010 bezieht er Versorgung vom Versorgungswerk i.H.v. monatlich 3.933 EUR. Er ist freiwillig krankenversichert bei der beklagten Kasse. Der Kläger beantragt von dieser die Rückerstattung von Beitragszahlungen. Seine zusätzlichen freiwilligen Einzahlungen ans Versorgungswerk passten nicht in den institutionellen Rahmen der öffentlichen Renten-Pflichtsysteme. Jedenfalls gelte das für die auf freiwilligen Beiträgen beruhenden Leistungen (hier etwa 11,58 %). Die Beklagte lehnte eine Beitragserstattung und Neufeststellung gem. § 44 SGB X der ursprünglichen Beitragsbescheide ab. Die Leistungen des Versorgungswerkes zielen auf die Altersversorgung, so dass es sich um eine beitragspflichtige Einnahme gem. § 237 SGB V handele. Widerspruch und Klage waren erfolglos. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers: Die Beitragspflicht komme einer „Sonderabgabe“ gleich, da die freiwillige Mitgliedschaft im Versorgungswerk nicht mit der gesetzlichen Pflichtrentenversicherung vergleichbar sei.
Entscheidung
Das LSG weist die Berufung als unbegründet zurück. Die dem Kläger ausgezahlten monatlichen Versorgungsleistungen sind Versorgungsbezüge i.S.d. § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V und unterliegen der Beitragspflicht in der GKV und der sozialen Pflegeversicherung. Die Rentenleistungen wurden wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung erzielt. Der Kläger war als Mitglied des Versorgungswerks Pflichtmitglied und blieb dies auch nach Verlegung seines Wohnsitzes nach Baden-Württemberg. Dem Umstand, dass ein Teil der monatlichen Rentenleistungen auf freiwilligen Beitragszahlungen an das Versorgungswerk beruht, kommt keine rechtliche Bedeutung zu – die Rentenzahlungen seitens einer für bestimmte Berufe errichteten Versicherungs- und Versorgungseinrichtung weisen den notwendigen Berufsbezug auf.
Praxishinweis
1. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Das Argument des Klägers, jedenfalls die auf freiwilligen Beitragszahlungen beruhenden Leistungen müssten außen vor bleiben, wird geteilt vom SG Landshut (BeckRS 2022, 15103). Dieses hat die Kasse zur Beitragserstattung verpflichtet, soweit sie Beiträge aus Leistungen der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe angefordert hat, die auf Zeiten der freiwilligen Mitgliedschaft beruhten. Dazu nimmt das SG Landshut Bezug auf den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.09.2010 (BeckRS 2010, 54503), wonach Direktversicherungen, die vom ehemaligen Arbeitnehmer übernommen werden, nicht als Versorgungsbezüge anzusehen sind und deshalb beitragsfrei bleiben müssen. Vergleichbar „von dem betrieblichen Bezug gelöst“ sind Leistungen, die auf freiwilligen Beiträgen an das Versorgungswerk beruhen.
2. Im vorliegenden Fall dürfte die freiwillige Mitgliedschaft beim Versorgungswerk Westfalen-Lippe darauf beruhen, dass der Zahnarzt nach Baden-Württemberg gewechselt ist. Ein solcher Wechsel hat zur Folge, dass der Betroffene bei dem für den neuen Praxissitz zuständigen Versorgungswerk Pflichtmitglied wird, sich von dieser Pflichtmitgliedschaft aber befreien lassen kann, falls er die Mitgliedschaft in dem vorangegangenen Versorgungswerk im anderen Bundesland fortsetzt. Dann tritt an die Stelle der Pflichtmitgliedschaft im neuen Bundesland die freiwillige Fortführung der Mitgliedschaft im ersten Versorgungswerk. Ähnliche Konstellationen können sich ergeben, soweit es um die rückwirkende Befreiung von Syndikusanwälten nach § 231 Abs. 4c SGB VI geht.
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.05.2022 - L 11 KR 2298/21, BeckRS 2022, 13513