Kolumne
Reich an Sorgen
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In einer neuen Folge der „Reflexionen über den Rechtsmarkt“ befasst sich unser Kolumnist mit den „Sorgen der reichsten Kanzlei der Welt“. Deren Sorgen will ich haben, denken Sie? Tatsächlich könnte dort trotz eines Rekordumsatzes und beachtlicher Partnerausschüttungen eine Entlassungswelle drohen. Gut, dass wir andere Sorgen haben, etwa den Datenschutz oder das Arbeitszeitgesetz.

21. Apr 2023

So, das wars dann wohl mit ChatGPT. Datenschutz, hätte man auch selbst drauf kommen können. Dass es die italienischen Datenschützer waren, die zugegriffen haben, ist natürlich ein Schönheitsfehler, denn wenn etwas wegen Datenschutz verboten wird, dann von uns, schließlich sind wir Deutschen die besten Datenschützer der Welt, da lassen wir uns nichts nachsagen bzw. vormachen.

Wir können uns also wieder dem Rechtsmarkt widmen. Vor lauter Justizdigitalisierung sind die Anwälte in letzter Zeit etwas ins Hintertreffen geraten. War auch nicht so viel los. Wenn Legal Tech inzwischen bei Rechtsanwaltskammern im hohen Norden diskutiert wird, dann ist es endgültig Mainstream, das regt keinen mehr auf. Also Zeit, sich mit den „Sorgen der reichsten Kanzlei der Welt“ zu befassen, an so einer Schlagzeile bleibt man natürlich hängen. Diese arme reiche Kanzlei, Kirkland & Ellis lautet ihr Name, hat nach einem Bericht der FAZ im Jahr 2022 einen Umsatz von ca. 6,5 Mrd. US-Dollar erzielt, mit gut 3.400 Anwälten und 505 „Vollpartnern“, da scheint es auch ­Halbdrachen zu geben. Jeder dieser Vollpartner verdient durchschnittlich 7,5 Mio. US-Dollar, jeder Anwalt erwirtschaftet im Schnitt 1,9 Mio. US-Dollar. Es geht aber noch reicher: In der New Yorker Kanzlei Wachtell Lipton verdienen Partner im Schnitt 8,4 Mio. US-Dollar. Das sind natürlich echte Sorgen, etwa was man mit dem ganzen Geld machen soll. Nach dem regelmäßigen STAR-Report haben deutsche Anwälte solche Sorgen jedenfalls nicht, die jüngsten Zahlen liegen, egal ob Durchschnitt oder Median, deutlich unter denen in den USA.

Der bloße Blick auf Umsatz und Profitabilität verstellt den Blick darauf, dass dahinter eine hohe Wertschätzung von Mandanten für die Leistungen dieser Kanzleien steht, denn in diesem Marktsegment sind Mandanten nicht für übertriebene Großzügigkeit bei Honorarvereinbarungen bekannt. Wirtschaftskanzleien sind eben unverzichtbar, so wie Anwälte überhaupt. Auch wenn schon vor Jahren vom „Death of Big Law“ die Rede war, hat der Schwanengesang des traditionellen Geschäftsmodells der Wirtschaftskanzleien offenbar mehrere Strophen, so schnell endet das nicht.

Aber warum dann Sorgen? Offenbar müssen alle US-Kanzleien, ­reiche und weniger reiche, kürzertreten, die Rede ist von Entlassungswellen. Gründe sind noch nicht klar, vielleicht die schwächelnde US-Konjunktur, vielleicht zyklischer Abbau von Überkapazitäten, vielleicht auch die Folge des sogenannten „Up or out“-Modells, wo man entweder Partner wird oder die Sozietät verlässt. Deutsche Wirtschaftskanzleien haben hingegen andere Sorgen: sie fordern, von den als unflexibel empfundenen Regeln des Arbeitszeitgesetzes befreit zu werden, denn das beiße sich mit dem Berufsrecht. BRAO und BORA vs. ArbZG? Offenbar könnten angestellte Anwälte hier noch mehr arbeiten, wenn sie nur dürften. Man stutzt ein bisschen. Auf dem nächsten Anwaltstag ist das eins der Themen, danach sind wir hoffentlich klüger.

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Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Mediator in Berlin, Senior Fellow des Bucerius Center on the Legal Profession und Mitglied des Berufsrechtsausschusses des DAV.