Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl
Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 03/2022 vom 09.02.2023
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Sachverhalt
Die getrennt lebenden Eltern waren sich uneinig, ob ihre Kinder entsprechend der Empfehlung der ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut (STIKO) gegen Covid-19 geimpft werden sollten. Während die Mutter dies befürwortete, lehnte der Vater eine Impfung ab. Das AG übertrug der Mutter das Alleinentscheidungsrecht für die Impfung und hob die Kosten des Verfahrens gegeneinander auf. Den Verfahrenswert setzte es gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 FamGKG auf 2.000 EUR fest. Es begründete dies damit, dass das Verfahren einen geringeren tatsächlichen und rechtlichen Aufwand erfordert habe als ein umfassendes Sorgerechtsverfahren. Dagegen legte die Anwältin der Mutter Beschwerde ein und beantragte, für das Verfahren den Regelverfahrenswert von 4.000 EUR festzusetzen.
Entscheidung: Unbilligkeit erfordert erhebliche Abweichung vom Durchschnittsfall
Die Beschwerde hatte Erfolg.
Gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG betrage der Verfahrenswert in einer Kindschaftssache, die die Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge betreffe, 4.000 EUR. Ein Teil der elterlichen Sorge sei auch bei einem Verfahren nach § 1628 BGB betroffen. Die Billigkeitsklausel in § 45 Abs. 3 FamGKG habe angesichts des gesetzlichen Regelwertes Ausnahmecharakter, sodass nicht jede Abweichung vom Durchschnittsfall, sondern erst eine solche von erheblichem Gewicht eine Unbilligkeit begründe. Eine Absenkung des Verfahrenswerts auf einen Betrag unterhalb des Regelverfahrens bedürfe daher im Einzelfall besonderer ins Auge fallender Gründe. Dabei komme es für die Beurteilung des Umfangs und der Schwierigkeit der Sache als Bewertungskriterium allein auf den gerichtlichen Aufwand und nicht denjenigen der Beteiligten oder ihrer Verfahrensbevollmächtigten an.
Die Umstände des vorliegenden Verfahrens rechtfertigten es nicht, den Verfahrenswert auf die Hälfte des Regelwertes herabzusetzen. Da gerichtliche Entscheidungen bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern gemäß § 1628 BGB von § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG erfasst würden, könne nicht maßgeblich auf ein Sorgerechtsverfahren nach § 1671 BGB und/oder § 1666 BGB als Vergleichsmaßstab abgestellt werden. Denn ansonsten müsste bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern in einzelnen Angelegenheiten regelmäßig statt des Regelverfahrenswerts ein niedrigerer Verfahrenswert angesetzt werden, so das OLG. Das vorliegende Verfahren sei angesichts der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zwar nicht von erhöhter Komplexität gewesen. Jedoch sei zu berücksichtigen, dass das Verfahren sowohl eine Anhörung der Kinder als auch der Eltern und einer Vertreterin des Jugendamtes erfordert habe. Auch in diesem Rahmen habe sich kein Einvernehmen der Eltern erzielen lassen, sodass eine gerichtliche Entscheidung erforderlich gewesen sei.
Praxishinweis
§ 45 Abs. 3 FamGKG ermöglicht eine Wertkorrektur, wenn der Ansatz des Regelwerts von 4.000 EUR nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unbillig ist, wobei eine Korrektur des Regelwerts sowohl nach oben als auch nach unten möglich ist (Neumann in BeckOK, Kostenrecht, § 45 FamGKG, 40. Edition, Rn. 34 und 36). Als maßgebliche Kriterien kommen der Umfang und die Schwierigkeit der Sache (wobei insoweit auf den gerichtlichen Aufwand und nicht auf den der Beteiligten oder ihrer Anwälte abgestellt wird) (Neumann in BeckOK Kostenrecht, FamGKG § 45, 40. Edition, Rn. 40) und soziale und finanzielle Verhältnisse der Beteiligten in Betracht (Neumann in BeckOK Kostenrecht, FamGKG § 45, 40. Edition, Rn. 49 ff.).
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.11.2022 - 18 WF 179/22 (AG Konstanz), BeckRS 2022, 39716