NJW: Hätte Ihnen vor über 25 Jahren jemand gesagt, wie lange dieser Rechtsstreit dauern wird, hätten Sie sich dann trotzdem gegen die Klage zur Wehr gesetzt?
Pelham: Hätte mir damals jemand im Studio gesagt: Wenn Du das Sample nicht benutzt, ersparst Du Dir einen über 25 Jahre dauernden Rechtsstreit, dann hätte ich es vielleicht gelassen. Aber ab dem Moment der Klageeinreichung gab es eigentlich keinen anderen Weg, als sich dagegen zu verteidigen. Auch weil es mir so ungerecht erschien, die Sequenz nicht sampeln zu dürfen. Und mit dem heutigen Wissen um den bisherigen Ausgang war es ja auch auf jeden Fall richtig.
NJW: Um die Dimension dieses Rechtsstreits, den von Ihnen gerade genannten bisherigen Ausgang und den aktuellen Stand verständlich zu machen, sollten wir vielleicht kurz den Gang des Verfahrens rekapitulieren.
Pelham: Die Klage gegen uns wurde 1999 eingereicht. Das erste Urteil in dem Verfahren sprach das LG Hamburg im Oktober 2004, dann folgte das OLG Hamburg, danach erstmals der BGH mit „Metall auf Metall I“, der an das OLG Hamburg zurückverwies, das im August 2011 erneut entschied. Danach war wieder der BGH („Metall auf Metall II“) an der Reihe. Gegen das Urteil haben wir Verfassungsbeschwerde erhoben und diese gewonnen. Also von dort wieder zurück zum BGH („Metall auf Metall III“), der die Sache dem EuGH vorlegte. Nach dessen Urteil im Juli 2019 folgte die Entscheidung „Metall auf Metall IV“ des BGH, mit der er die Sache wieder an das OLG Hamburg verwies. Das Hanseatische Oberlandesgericht hat den Streit dann in drei Phasen unterteilt: Phase 1 ist diejenige bis zur Geltung der Urheberrechts-Richtlinie, also von 1997 bis 2002, Phase 2 ist diejenige ab Geltung der Richtlinie, also ab 2002, und Phase 3 ist diejenige ab Geltung des neuen § 51a UrhG im Juni 2021. Gegen diese Entscheidung des OLG Hamburg haben beide Parteien den BGH angerufen, der das Urteil bezüglich der Phasen 1 und 2 bestätigt und bezüglich Phase 3 wieder dem EuGH vorgelegt hat („Metall auf Metall V“). Die für uns positive Entscheidung zu Phase 1 ist damit rechtskräftig. Gegen die für uns negative Entscheidung bezüglich Phase 2 haben wir erneut Verfassungsbeschwerde eingelegt, die vom BVerfG angenommen wurde. Das Gericht hat die beteiligten Verkehrskreise angehört; die Entscheidung steht noch aus. Auch die Entscheidung des EuGH bezüglich Phase 3 steht noch aus. Wir gehen davon aus, dass dann nach den Urteilen aus Karlsruhe und Luxemburg wieder alles beim BGH landet. Der Rechtsstreit wird uns also wohl noch ein paar Jahre beschäftigen.
NJW: Sie haben die Rechtsänderungen während des Verfahrens angesprochen, die auch von diesem beeinflusst waren. Wie haben sie sich auf die Entscheidungen konkret ausgewirkt?
Pelham: Die erste Phase war aus wirtschaftlichen Gründen die Wichtigste für uns, weil da die CD mit dem Sample noch verkauft wurde und die geforderte Unterlassung sowie die Vernichtung der Tonträger finanzielle Einbußen für mein Label bedeutet hätten. Für Vervielfältigungen bis zum 22.12.2002 lag keine Rechtsverletzung vor. Danach begann ab Geltung der Urheberrechts-Richtlinie die zweite Phase. Der EuGH sah in der Nutzung des sehr kurzen Audiofragments eine teilweise Vervielfältigung im Sinne der Richtlinie. Und er lehnte eine Berufung auf § 24 I UrhG (freie Benutzung) ab, weil ein Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht keine Ausnahme oder Beschränkung vorsehen darf, die nicht auch in der Richtlinie geregelt ist. Der BGH ist dem gefolgt, diese Phase haben wir also erstmal verloren. Wir sind aber zuversichtlich, dass das BVerfG nicht zulassen wird, dass ein zweifelsohne rechtmäßig hergestellter Tonträger plötzlich aufgrund einer europarechtsfreundlichen Auslegung vernichtet werden soll, ohne dass der deutsche Gesetzgeber am Urheberrechtsgesetz ein Wort geändert hat. Die dritte Phase begann im Juni 2021 mit der Einführung des § 51a UrhG als neue Ausnahme-Regelung, nämlich einer Schranke für sogenanntes „Pastiche“. Jetzt geht es also um die Frage, ob die Vervielfältigung der Sequenz aus „Metall auf Metall“ und ihre Überführung in ein eigenständiges neues Werk im Wege des Sampling als „Pastiche“ zulässig ist.
NJW: Was versteht man unter einem „Pastiche“?
Pelham: Das weiß ich nicht. Und ich glaube, dass es niemand so richtig weiß. Ich hatte den Begriff jedenfalls vorher noch nie gehört. Und offensichtlich war „Pastiche“ als Rechtsbegriff vor dieser Richtlinie auch nicht existent.
NJW: Die Einführung des § 51a UrhG hatte ausweislich der Gesetzesbegründung maßgeblich mit Ihrem Fall zu tun. Ist es für Sie eine Genugtuung, dass Sie mit diesem Verfahren das Urheberrecht beeinflusst und Rechtsgeschichte geschrieben haben?
Pelham: Sagen wir es so: Ich finde es bemerkenswert, in was ich da reingerutscht bin.
NJW: Können Sie kurz erläutern, warum das Sampling für Ihre Kunst so wichtig ist?
Pelham: Es ist ein elementarer Bestandteil der DJ- und Hip-Hop-Kultur. Es ist eine Form der Auseinandersetzung mit fremder Kunst, um daraus eigene Kunst zu machen. Es begann in den 1970er Jahren mit dem Scratchen und Wiederholen von sogenannten Break-Beats, wofür Platten anderer Musiker verwendet wurden, und setzte sich später über das Sampling fort. Es ist aus unserer Kultur einfach nicht wegzudenken.
NJW: Was spräche denn dagegen, für die Nutzung solcher Sequenzen Einwilligungen einzuholen?
Pelham: Unabhängig von ganz praktischen Erwägungen wäre dann die von mir beschriebene Auseinandersetzung mit der Vorkunst davon abhängig, dass hierfür Einwilligungen erteilt werden. Es erscheint mir falsch, dass ein Mensch auf diese Weise die Auseinandersetzung mit seiner Kunst verbieten kann. In unserem Verfahren hat die Gegenseite vorgetragen, dass sie ihr Einverständnis bei einer Künstlerin, die ein Verhältnis mit einem Tennisspieler gehabt hat, niemals erteilt hätte (Sabrina Setlur hatte Anfang der 2000er Jahre eine Beziehung mit Boris Becker, die Red.). Wenn von solchen Fragen abhängig gemacht werden kann, ob ich mich mit deren Kunst auseinandersetzen darf, wäre das doch verrückt.
NJW: Wenn Sampling als fester Bestandteil der Hip-Hop-Kultur ein Massenphänomen ist, müsste es dann nicht unzählige weitere Verfahren geben?
Pelham: Dass in einem Fall wie unserem dagegen geklagt wird, scheint mir in Deutschland eine absolute Ausnahme zu sein. Ich werde auch gesampelt und käme nie auf die Idee, dagegen vorzugehen. Das würde überhaupt nicht zu meiner Denkweise als Künstler passen. Mir scheint, dass Kraftwerk einfach keine Auseinandersetzung mit ihrem Werk wollen, sie sind auch in anderen Fällen gegen Kollegen vorgegangen. Die meisten haben sich sofort unterworfen.
NJW: Gab bzw. gibt es Reaktionen aus der Musikbranche in Form von Zuspruch für Ihren Kampf für das Sampling oder Kritik an Ihrem Vorgehen?
Pelham: Es gab mir gegenüber von Künstlern nur positive Rückmeldungen dazu, dass ich mich in dem Fall zur Wehr gesetzt habe. Im ersten Verfassungsbeschwerdeverfahren haben sich viele Musiker aus allen Genres, von Klassik über Pop bis Hip-Hop, unserer Beschwerde angeschlossen.
NJW: Können Sie grob sagen, wie viel Sie der Rechtsstreit bisher gekostet hat?
Pelham: Einen mittleren sechsstelligen Betrag.
NJW: Wie hat das Verfahren Ihre Sicht auf Recht und Justiz beeinflusst?
Pelham: Das Verfahren hat mein Vertrauen in die Justiz gestärkt. Es ist für mich und andere Musikschaffende wichtig, dass sich Richter so intensiv mit rechtlichen Fragen zu unserer Kunst befassen. Das habe ich auch als Privileg empfunden. Es ist schon was Gutes, in einem Rechtsstaat zu leben. Ich weiß das sehr zu schätzen. Ich war auch bei allen Gerichtsterminen dabei, außer beim letzten, bei dem ich krank war. Manches habe ich aber bis heute nicht verstanden.
NJW: Was zum Beispiel?
Pelham: Für mich als juristischen Laien war überhaupt nicht nachvollziehbar, wie etwas, das höchstrichterlich als rechtmäßig beurteilt wurde, nur einen Tag später plötzlich rechtswidrig sein sollte. Ich habe darüber mehrfach mit meinem Anwalt gesprochen, aber so richtig verinnerlicht habe ich es bis heute nicht. Auch als ich nach Jahren intensiver Befassung mit dem deutschen Recht plötzlich in ein Gerangel um EU-Recht hineingeraten bin, wusste ich erstmal gar nicht, wie mir geschieht.
NJW: Finden Sie nicht auch die Verfahrensdauer befremdlich?
Pelham: Die Dauer ist schon bemerkenswert. Zwischendurch ist das Verfahren immer wieder verblasst, bis dann plötzlich ein neuer Schriftsatz kam. Dann musste ich mich erstmal wieder erinnern und in den Sachstand einlesen.
NJW: Beschäftigt Sie das Verfahren auch emotional?
Pelham: Ich fürchte ja. Zumal man es als Künstler nicht gewohnt ist, Gegenstand eines Gerichtsverfahrens zu sein. Und weil man sich darin, ich sagte das eingangs schon, auch mit Ungerechtigkeiten konfrontiert fühlt.
NJW: Hat es Sie in Ihrer Kunst beeinträchtigt, etwa weil Sie beim Sampling vorsichtiger geworden sind?
Pelham: Bewusst nicht, aber natürlich macht das was mit einem. Ich will ja keinen Streit, unabhängig davon, wie er am Ende ausgeht. Ich kann mir das auch nicht mehrfach leisten. Deshalb habe ich un- bzw. unterbewusst vielleicht schon mal Sachen nicht gemacht, um mir Ärger zu ersparen. Ich habe auch von anderen Künstlern gehört, dass sie vor dem Hintergrund dieses Verfahrens auf Sampling verzichtet haben.
NJW: Sie erwähnen den Rechtsstreit auf Ihrem letzten Album in dem Song „Sound Good“. Musste das Verfahren auf das finale Werk, weil es praktisch Ihre gesamte Musikkarriere begleitet hat?
Pelham: Ob es drauf musste, weiß ich nicht. Mir wird oft gesagt, die Liedzeile „Ich hab’ Rechtsstreitigkeiten, die sind älter als Du“ sei witzig. Sie ist ja aber vor allem wahr. Sie ist witzig, weil sie wahr ist.
NJW: Sie haben jetzt Ihre Rap-Karriere beendet. Für den Rechtsstreit kommt „Aufhören“ nicht in Betracht?
Pelham: Insgesamt geht es mir nicht ums Aufhören. Ich wollte mein persönliches Werk nach meinen Vorstellungen vollendet wissen und nicht irgendwann merken, dass meine letzte Platte meine letzte Platte war, einfach weil danach keine mehr kam. Ich wollte eine Platte machen, die sich damit beschäftigt, die letzte zu sein. Das letzte Opfer, das ich für meine Kunst bringe, ist zu einem Zeitpunkt den Schlussstein zu setzen, an dem ich gar nicht damit aufhören will. Das tue ich für mein Werk als Rapper. Weil ich den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen will. Zum Rechtsstreit: Jetzt nach all den Jahren aufzuhören, wäre seltsam. Wir haben den Rechtsstreit ja auch nicht angefangen, sondern uns nur zur Wehr gesetzt.
NJW: Gab es eigentlich mal Versuche, das Verfahren einvernehmlich zu beenden?
Pelham: Es gab am Anfang mal ein Gespräch, aber die Gegenseite bestand auf Unterlassung, das kam für mich nicht in Betracht. Später habe ich nochmals versucht, Kontakt aufzunehmen, als sich aufgrund der Entscheidung des BGH in „Metall auf Metall I“ die Positionen der Parteien komplett drehen mussten, weil ich dachte: Okay, jetzt wird’s albern. Aber die wollten nicht.
NJW: Wann und wie wird die Sache letztlich enden?
Pelham: Das vermag ich nicht zu sagen, aber gerade im Lichte des Ausgangs bezüglich Phase 1 sehe ich den weiteren Entscheidungen zuversichtlich entgegen.
Moses Pelham wurde 1971 in Frankfurt a. M. geboren, wo er auch heute noch lebt und als Rapper, Sänger, Songwriter und Musikproduzent arbeitet. Er ist Gründer und Geschäftsführer des Labels pelham power productions (3p). Seine Musikkarriere begann Ende der 1980er Jahre mit der Single Twilight Zone und dem Soloalbum Raining Rhymes. Der kommerzielle Durchbruch gelang ihm mit der von ihm mitgegründeten Hip-Hop-Formation Rödelheim Hartreim Projekt. Nach deren Auflösung folgten mehrere Soloalben, jetzt im Januar erschien sein letztes mit dem Titel „Letzte Worte“. Pelham schrieb und produzierte unter anderem für Sabrina Setlur, Xavier Naidoo und die Band GLASHAUS. Für seine musikalische Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, 2017 verlieh ihm seine Heimatstadt Frankfurt a. M. die Goetheplakette.
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