Anmerkung von
Rechtsanwältin Jessica Friedrich, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz
Aus beck-fachdienst Strafrecht 16/2020 vom 20.08.2020
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Sachverhalt
In der Hauptverhandlung vor dem AG über den Einspruch gegen den Strafbefehl, hat der Verteidiger des A mit entsprechender schriftlicher Vertretungsvollmacht als Vertreter für den abwesenden A den Einspruch auf das Strafmaß beschränkt. Der A hat (Sprung-)Revision gegen das Urteil des AG vom 21.2.2020 eingelegt, mit der Begründung, dass keine wirksame Vertretungsmacht bestanden habe. Der Verteidiger hat am 5.6.2020 eine Gegenerklärung abgegeben.
Entscheidung
Der Senat hat die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Der Senat entschied, dass ein mit ausdrücklicher Vollmacht ausgestatteter Verteidiger als Vertreter des A im Sinne des § 411 Abs. 2 StPO befugt sei, sämtliche zum Verfahren gehörenden Erklärungen abzugeben, zu denen Rechtsmittelrücknahmen und somit auch Rechtsmittelbeschränkungen, die Teilrücknahmen darstellen, gehören.
Dies folge aus dem Umstand, dass ein Verteidiger, der nicht nur als Beistand des Angeklagten (§ 137 StPO) tätig werde, sondern den abwesenden Angeklagten nach § 411 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung zulässig vertrete, in dieser Verfahrenssituation an die Stelle des Angeklagten trete und mit Wirkung für und gegen diesen Erklärungen abgeben und entgegennehmen, den Angeklagten also in der Erklärung und im Willen vertreten könne. Die dem Verteidiger für die Hauptverhandlung erteilte Vertretungsmacht umfasse m.a.W. alle Verfahrensbefugnisse eines Angeklagten. Folgerichtig werde insbesondere in der anwaltlichen Literatur der Hinweis gegeben, dass der Verteidiger, sollte er den Angeklagten in der Hauptverhandlung gemäß § 411 Abs. 2 StPO vertreten, zur eigenen Sicherheit vorab alle Eventualitäten mit dem Angeklagten erörtern und dies dokumentieren sollte, was insbesondere für eine eventuell („zur Schadensbegrenzung“) erforderliche Einspruchsrücknahme in der Hauptverhandlung gelte. Dieses warnenden Hinweises hätte es nicht bedurft, wäre (auch) der den Angeklagten in der Hauptverhandlung vertretende Verteidiger, wie die Revision meint, nur bei Vorliegen einer ausdrücklichen Ermächtigung befugt, den Einspruch gegen den verfahrensgegenständlichen Strafbefehl (zum Teil) zurückzunehmen.
Die mit der Gegenerklärung vorgebrachten Erwägungen des Revisionsverteidigers verfangen nicht. Die Literaturmeinung, es könne mit der Revision „gerügt werden, dass eine wirksame Vertretungsmacht nicht bestanden hat“, sei ebenso selbstverständlich richtig, wie sie für die hier interessierende Fragestellung nicht entscheidend sei und dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen könne. Entgegen der Annahme der Verteidigung habe der von ihr herangezogenen Entscheidung des OLG Düsseldorf keine „identische Sachverhaltskonstellation“ zugrunde gelegen. In jenem Fall habe der Verteidiger vielmehr die Einspruchsbeschränkung bereits vor der Hauptverhandlung schriftsätzlich erklärt, sodass das OLG Düsseldorf zutreffend die allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Anwendung gebracht habe, die von der Rechtsprechung hinsichtlich des Erfordernisses einer ausdrücklichen Ermächtigung des Verteidigers zur Rechtsmittelrücknahme entwickelt worden seien und die auch vom Senat in ständiger Rechtsprechung vertreten würden. Angesichts dessen, dass sich die Entscheidung des OLG Düsseldorf hiernach nicht mit einer Beschränkungserklärung eines nach § 411 Abs. 2 StPO zur Vertretung befugten und hierzu bereiten Verteidigers in der Hauptverhandlung befasst habe, sei die Sache entgegen der Auffassung des Revisionsverteidigers nicht dem Bundesgerichtshof vorzulegen gewesen.
Unzutreffend sei auch die Annahme, die vorgenannte Entscheidung des Senats stehe im Widerspruch zu einer älteren Entscheidung des KG. In jener Entscheidung habe es so gelegen, dass es zwar zu einem Rechtsmittelverzicht durch die Verteidigerin in der Hauptverhandlung gekommen sei. Dem habe aber schon kein originäres Strafbefehlsverfahren zugrunde gelegen. Vielmehr sei der dortige Angeklagte, dem mit Anklageschrift eine fahrlässige Trunkenheit im Verkehr zur Last gelegt worden sei, nicht zur Hauptverhandlung erschienen, woraufhin ein Übergang in das Strafbefehlsverfahren erfolgt und die Verteidigerin nach Verkündung des vom Gericht in der Hauptverhandlung auf Antrag der Amtsanwaltschaft erlassenen Strafbefehls „im Namen des Angeklagten“ auf Rechtsmittel gegen diesen Strafbefehl verzichtetet habe. Das Schifffahrtsobergericht habe seine Entscheidung angesichts dieses Verfahrensgangs folgerichtig ebenfalls auf die allgemeinen Grundsätze gestützt, die für die Wirksamkeit einer Rücknahme- bzw. Verzichtserklärung nach § 302 Abs. 2 StPO gelten, ohne dass die Vorschrift des § 411 Abs. 2 StPO oder eine „Vertretung“ des Angeklagten durch seine Verteidigerin auch nur erwähnt worden wären. Auch diese Entscheidung befasse sich somit nicht mit der hier in Rede stehenden Konstellation einer Vertretung des abwesenden Angeklagten durch seinen Verteidiger nach § 411 Abs. 2 StPO, der eine Sondervorschrift (auch) zu § 234 StPO darstelle, der - anders als § 410 Abs. 1 StPO - nicht die entsprechende Geltung des § 302 Abs. 2 StPO anordne, und dessen im Vergleich zu der Vertretung nach § 234 StPO unterschiedliche Struktur auch darin deutlich werde, dass im Falle des § 411 Abs. 2 StPO - anders als bei § 234 StPO - durch die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Angeklagten die Vertretungsbefugnis des Verteidigers nicht suspendiert werde.
Praxishinweis
Der Senat hat vorliegend entschieden, dass ein mit ausdrücklicher Vollmacht ausgestatteter Verteidiger als Vertreter des Angeklagten befugt ist, sämtliche zum Verfahren gehörenden Erklärungen abzugeben, zu denen Rechtsmittelrücknahmen und somit auch Rechtsmittelbeschränkungen gehören.
In der Hauptverhandlung auf einen Einspruch hin hat der Angeklagte nach § 411 Abs. 2 StPO das Recht, sich von einem Verteidiger vertreten zu lassen. Die Vertretung durch einen Verteidiger setzt über die allgemeine Vollmacht „für alle Prozesshandlungen“ hinaus eine weitergehende nachgewiesene Vertretungsvollmacht voraus. Sie muss dem Gericht schon bei Beginn der Verhandlung vorliegen, die spätere schriftliche Bestätigung einer mündlich erteilten Vollmacht genügt nicht.
Die Verteidigung des Angeklagten ist streng von der Vertretung des Angeklagten zu unterscheiden. Der Verteidiger ist als solcher nur Beistand gemäß § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO. Als Vertreter gemäß § 234 StPO tritt er vielmehr an die Stelle des Angeklagten. Eine Vertretungsvollmacht erlaubt es dem Verteidiger, als Stellvertreter alle Rechte auszuüben, die die Strafprozessordnung in der Hauptverhandlung dem Angeklagten einräumt. Dazu gehören Prozesshandlungen im Sinne prozessualer Willenserklärungen, ihre Abgabe wie ihre Entgegennahme, nach ganz überwiegender Ansicht aber auch die Einlassung zur Sache (vgl. MüKo-StPO/Eckstein, § 411 StPO Rn.29). Die Möglichkeit sich mit einer wirksamen Vertretungsvollmacht von einem Verteidiger vertreten zu lassen, ist insbesondere im Strafbefehlsverfahren ein probates Mittel. Allerdings ist im Falle einer Vertretung, die vorherige Erörterung aller Eventualitäten mit dem Angeklagten unverzichtbar.
KG Berlin, Beschluss vom 01.07.2020 - (4) 121 Ss 71/20 (74/20) (AG Berlin-Tiergarten), BeckRS 2020, 17854