Urteilsanalyse
Rechtsmissbräuchlichkeit des Widerspruchs des Versicherungsnehmers in der Lebensversicherung
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Bei der Beurteilung der Frage, ob in der Lebensversicherung ein sogenanntes ewiges Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. besteht, ist auf die eindeutige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.12.2019 (C-355/18 u.a., NJW 2020, 667, «Rust-Hackner») und nicht auf die zum Bankenrecht auf der Grundlage der Verbraucherkreditrichtlinie ergangene Entscheidung des EuGH vom 09.09.2021 (C-33/20NJW 2022, 40) abzustellen. Dies hat das Oberlandesgericht Brandenburg entschieden.

6. Okt 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Kanzlei GRAMS Rechtsanwälte, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 19/2022 vom 21.09.2022

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VVG § 5a a.F.; BGB § 242

Sachverhalt

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückzahlung von auf eine 2002 nach dem sogenannten «Policenmodell» nach § 5a VVG a.F. abgeschlossene, fondsgebundene Lebensversicherung gezahlten Versicherungsprämien zuzüglich gezogener Nutzungen, nachdem er 2019 den Widerspruch gegen den Vertragsschluss erklärt hat. Zuvor hatte der Kläger 2018 den Versicherungsvertrag gekündigt, woraufhin ihm vom Versicherer sein Guthaben ausgezahlt worden war.

Das Landgericht hatte erstinstanzlich die Klage abgewiesen. Das OLG wies nun die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurück.

Rechtliche Wertung

Der vom Kläger 2019 erklärte Widerspruch sei als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren, entschied das OLG.

Bei der Beurteilung der Frage, ob in der Lebensversicherung ein sogenanntes ewiges Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. besteht, sei auf die eindeutige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.12.2019 (Az.: C-355/18 u.a., NJW 2020, 667, «Rust-Hackner») und nicht auf die zum Bankenrecht auf der Grundlage der Verbraucherkreditrichtlinie ergangene Entscheidung des EuGH vom 09.09.2021 (Az.: C-33/20NJW 2022, 40) abzustellen. Der EuGH gestehe den Mitgliedstaaten auch bei einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht eine einzelfallbezogene Missbrauchskontrolle zu.

Die vom Kläger angeführte Entscheidung des OLG Rostock vom 08.03.2022 (Az.: 4 U 51/21BeckRS 2022, 3725) führe zu keinem anderen Ergebnis. Das OLG Rostock habe sich mit der hier maßgeblichen Frage des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht weiter befasst. Gegenstand der Prüfung durch das OLG Rostock sei vielmehr der ebenfalls aus § 242 BGB resultierende Grundsatz der Verwirkung, auf den der Senat hier jedoch gar nicht abstelle. Hinzu komme, dass hier - anders als offenbar im Fall des OLG Rostock - eine Widerrufsbelehrung vorhanden gewesen sei. Der Senat weiche daher nicht von der Entscheidung des OLG Rostock ab.

Es sei weder eine Zulassung der Revision zum BGH noch eine Vorlage an den EuGH erforderlich, so das OLG weiter. Die Maßstäbe für die Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben in der Rechtsprechung des EuGH seien ebenso geklärt, wie die Tatsache, dass die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Einklang mit dieser Rechtsprechung stehen könne. Die Frage, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürfen, berühre zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts. Der Anwendung von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher Rechtsausübung stehe dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung dieser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibe und die nationalen Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürften.

Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der EuGH mit seiner Entscheidung vom 09.09.2021 etwas an seiner Rechtsprechung zu Widerspruchsbelehrungen in Versicherungsverträgen habe ändern wollen.

Praxishinweis

Es wird verwiesen auf die Besprechung der Entscheidung des OLG Hamm (Beschluss vom 25.08.2022 – 20 U 155/22BeckRS 2022, 22830) von Grams in dieser Ausgabe zum selben Thema m.w.N (FD-VersR 2022, 451641).

OLG Brandenburg, Beschluss vom 05.07.2022 - 11 U 237/11 (LG Frankfurt (oder)), BeckRS 2022, 23130
OLG Brandenburg, Beschluss vom 17.08.2022 - 11 U 237/21 (LG Frankfurt (Oder)), BeckRS 2022, 23131