Urteilsanalyse
Keine Eigenbedarfskündigung bei weiteren, fast identischen freien Mietwohnungen im gleichen Haus
Urteilsanalyse
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Sind unstreitig in einem Wohnhaus noch weitere freie Mietwohnungen mit ähnlicher Ausstattung vorhandenen, können diese ohne weiteres den Eigenbedarf befriedigen, was - so das AG Görlitz - die Unlauterkeit einer Räumung wegen Eigenbedarfs belegt.

14. Sep 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwältin Franziska Bordt, Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 18/2023 vom 14.09.2023

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Sachverhalt

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Räumung der an sie durch Mietvertrag vom 20.06.2000 vermieteten, 73 m² großen Wohnung.

Die Klägerin kündigte mit Schreiben vom 21.09.2021, zugestellt am 24.09.2021, der Beklagten wegen Eigenbedarfs ordentlich zum Ablauf des 30.06.2022 und begründete dies damit, dass ihre Tochter nach Ende ihres Studiums im Sommer 2022 die Wohnung zwecks Beginn eines Arbeitsverhältnisses in der Stadt benötige. Die Beklagte bestreitet den Eigenbedarf.  

Im Haus, in dem sich die Mietwohnung befindet, stand zum Zeitpunkt der Kündigung eine Wohnung mit 73 m² Größe leer und wurde seitdem noch bis Juli 2022 durch die Klägerin zur Vermietung angeboten. Weitere Wohnungen im Haus mit 73 m² bzw. 65 m² wurden ab März 2022 bzw. ab Juli 2022 zur Vermietung angeboten.

Entscheidung

Die Klage hat keinen Erfolg.

Der Klägerin stehe kein Anspruch gegen die Beklagte auf Räumung der Wohnung zu. Die wegen Eigenbedarfs ausgesprochene Kündigung sei unwirksam.

Nach den von der Beklagtenseite vorgetragenen Gesamtumständen, die von der Klägerseite nicht bestritten worden seien, liegen ausreichend Indizien vor, die darauf schließen lassen, dass die Klägerin gar kein echtes Interesse an der Nutzung der Wohnung für den Eigenbedarf ihrer Tochter habe, sondern dass sie auf unlautere Weise versuche, unter dem Vorwand des Eigenbedarfes die Beklagte als Mieterin, die sich einer Mieterhöhung widersetzt, loszuwerden.

Die Äußerung des offenbar über den langen und teuren Mieterhöhungsprozess verärgerten Ehemanns der Klägerin gegenüber den Anwälten der Beklagten nur etwa eine Woche vor Ausspruch der Kündigung lasse keine andere Deutung zu. Hinzu kämen die unstreitig im Wohnhaus der Klägerin noch vorhandenen weiteren freien Mietwohnungen mit ähnlicher Ausstattung, die ohne weiteres den Eigenbedarf der Tochter befriedigen könnten, was ebenfalls die unlautere Vorgehensweise belege.

Soweit die Klägerin geltend mache, die Beklagte habe keine ordnungsgemäß prüfbaren Anlagen hinsichtlich der freien Wohnungen zur Vorlage gebracht, und soweit sie bestreite, dass die Wohnungen vergleichbar seien, sei dieser Einwand unsubstantiiert. Der Klägerin seien die unstreitig von ihr selbst angebotenen Wohnungen zweifellos bekannt. Es sei aus den vorgelegten Mietangeboten, die schön renovierte Wohnungen zeigen, nichts ersichtlich, was gegen eine Nutzung dieser Wohnungen durch die Tochter sprechen könnte. Es wäre Sache der Klägerin gewesen, hierzu Konkretes vorzutragen, was nicht erfolgt sei.

Es bestehe daher kein die Kündigung rechtfertigender Eigenbedarf.

Praxishinweis

Dem Urteil ist zuzustimmen.

Zwar ist bei der Kündigung einer Mietwohnung wegen Eigenbedarfs grundsätzlich die Entscheidung des Vermieters, welche der ihm gehörenden Wohnungen er nutzen will, zu respektieren (BGH, Urteil vom 13.10.2010 - VIII ZR 78/10, NJW 2010, 3775 Rn. 14, besprochen in Bub/von der Osten FD-MietR 2010, 309883). Ausnahmsweise ist eine (berechtigte) Eigenbedarfskündigung aber dann rechtsmissbräuchlich, wenn dem Vermieter eine vergleichbare andere Wohnung zur Verfügung steht, in der er seinen Wohnbedarf – oder wie vorliegend den Wohnbedarf der Familienangehörigen – ohne wesentliche Abstriche befriedigen kann (BGH, Beschluss vom 23.08.2016 – VIII ZR 178/15, NZM 2016, 715 Rn. 17, besprochen in Bub/Bernhard FD-MietR 2016, 381552).

Alternativ hätte der Vermieter die leerstehende, im gleichen Haus befindliche und zur Vermietung angebotenen Wohnung auch der Mieterin anbieten können und müssen. Denn der Vermieter ist gehalten, den durch die Kündigung verursachten Eingriff in die Lebensführung des Mieters abzumildern, soweit ihm dies möglich ist. Ausnahmsweise ist eine Kündigung daher dann rechtsmissbräuchlich, wenn dem Vermieter eine andere Wohnung im selben Anwesen zur Vermietung zur Verfügung steht und er diese dem Mieter nicht anbietet, obwohl er sie wieder vermieten will (BGH, Urteil vom 09.07.2003 – VIII ZR 276/02, BeckRS 2003, 6164, besprochen in Bub/Bernhard FD-MietR 2016, 381552).

AG Görlitz, Urteil vom 28.02.2023 - 9 C 255/22, BeckRS 2023, 10321