Urteilsanalyse
Rechtliches Interesse des Rechtsschutzversicherers an Akteneinsicht
Urteilsanalyse
dcg
© Dirk-Carsten Günther / BLD
dcg

Ein Rechtsschutzversicherer, der Deckung gewährt hat, hat regelmäßig ein rechtliches Interesse im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO an der Einsichtnahme in die Akten des Rechtsstreits, an dem sein Versicherungsnehmer beteiligt ist, wenn er prüfen will, ob ihm ein kraft Gesetzes (§ 86 Abs. 1 VVG) übergegangener Anspruch des Versicherungsnehmers gegen dessen Prozessbevollmächtigten zusteht. Dies hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden.

12. Okt 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 19/2021 vom 23.09.2021

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Versicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Versicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Versicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

ZPO § 299 II; VVG § 86 I

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Justizverwaltungsaktes in Zivilsachen.

Die weitere Beteiligte, der Rechtsschutzversicherer der bei ihr versicherten hiesigen Antragsteller, ersuchte beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main um Einsichtnahme in die Akten des Verfahrens (Ausgangsverfahren), dessen Gegenstand eine Klage der Antragsteller gegen ein Finanzinstitut auf Schadensersatz war.

Die beantragte Akteneinsicht wurde der weiteren Beteiligten bewilligt. Der Bescheid wurde den Antragstellern zugestellt. Diese haben daraufhin einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und beantragen, die Bewilligung der Akteneinsicht aufzuheben.

Rechtliche Wertung

Der Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Der Präsident des Oberlandesgerichts habe der weiteren Beteiligten zu Recht Einsichtnahme in die Akten des Ausgangsverfahrens bewilligt.

Nach § 299 Abs. 2 ZPO kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Parteien die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht ist. Das rechtliche Interesse des Dritten an der Akteneinsicht setze nach ständiger Rechtsprechung des Senats voraus, dass dem Dritten zustehende Rechte durch den Akteninhalt berührt werden. Das rechtliche Interesse müsse sich dabei unmittelbar aus der Rechtsordnung ergeben. Das Verfahren selbst oder wenigstens der diesem zugrunde liegende Sachverhalt müsse für die rechtlichen Belange des Gesuchstellers von konkreter Bedeutung sein. Ein rechtliches Individualinteresse an der Akteneinsicht liege vor, wo persönliche Rechte des Akteneinsicht begehrenden Dritten durch den Akteninhalt auch nur mittelbar berührt werden, sofern ein rechtlicher Bezug zu dem Streitstoff der einzusehenden Akten besteht. Besteht ein solcher rechtlicher Bezug, reichten demnach auch rechtlich begründete wirtschaftliche Interessen aus. Ein Rechtsschutzversicherer habe ein rechtliches Interesse regelmäßig schon dann dargelegt, wenn er - wie vorliegend - Einsichtnahme in die Akten des Rechtsstreits begehrt, dessen Kosten er getragen hat, und vorträgt, er wolle Regressansprüche gemäß § 280 BGB, § 86 VVG gegen die von seinem Versicherungsnehmer mandatierte Rechtsanwaltskanzlei prüfen.

Der Rechtsschutzversicherer stehe zu den Antragstellern als Klägern des Ausgangsverfahrens in einem auf Rechtsnormen beruhenden, gegenwärtig bestehenden Rechtsverhältnis, das sich aus dem Versicherungsvertrag über eine Rechtsschutzversicherung im Sinn der §§ 125 ff. VVG ergebe. Aus diesem folge, dass gemäß § 86 Abs. 1 S. 1 VVG Ersatzansprüche des Versicherungsnehmers gegen einen Dritten auf den Versicherer übergehen. Gegenstand eines derartigen Forderungsübergangs auf den Rechtsschutzversicherer könnten insbesondere Ansprüche des Versicherten gegen den Rechtsanwalt auf Schadensersatz für von dem Rechtsschutzversicherer übernommene Prozesskosten sein.

Liegt ein Rechtsverhältnis vor, müsse der Dritte mit der Akteneinsicht einen konkreten, sich aus diesem ergebenden rechtlich begründeten Zweck verfolgen. Für die Annahme eines rechtlichen Interesses genüge es hingegen nicht, wenn der Dritte die Akten daraufhin untersuchen will, ob sich aus diesen erstmals Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine nach Art oder Anspruchsgegner vorher noch nicht näher feststehende Rechtsverfolgung erfolgversprechend sein könnte (Ausforschungsinteresse).

So verhalte es sich vorliegend aber gerade nicht. Die weitere Beteiligte beabsichtige, in Vorbereitung einer möglichen Rechtsverfolgung zu prüfen, ob Ansprüche ihrer Versicherungsnehmer gegen den diese im Ausgangsverfahren vertretenden Rechtsanwalt aus § 280 BGB bestehen, welche nach der Übernahme der Kosten des Ausgangsverfahrens gemäß § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf die weitere Beteiligte übergegangen wären. Das Bestehen solcher Ansprüche der weiteren Beteiligten sei auch nicht von vornherein ausgeschlossen. Die nicht ganz entfernte Möglichkeit des tatsächlichen Bestehens des geltend gemachten Anspruchs genüge für die Annahme des rechtlichen Interesses.

Praxishinweis

Die Frage, ob es zur Darlegung eines rechtlichen Interesses im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO genügt, dass der Dritte seine Eigenschaft als Rechtsschutzversicherer einer Partei des Prozesses, in dessen Akten er Einsicht begehrt, und die Verauslagung von Kosten des Rechtsstreits darlegt und ausführt, er wolle das Vorliegen von auf ihn übergegangenen Regressansprüchen prüfen, hat zuletzt mehrere Obergerichte beschäftigt. Es bejahen dies das OLG Köln (Beschluss vom 06.08.2019 - 7 VA 12/19, FD-VersR 2020, 424218; Beschluss vom 12.08.2019 - 7 VA 17/19), das OLG Hamm (Beschluss vom 21.01.2020 - 15 VA 35/19, FD-VersR 2020, 430461), das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 16.03.2021 - 3 Va 1/20, FD-VersR 2021, 438696 mit Besprechung von Günther; Beschluss vom 18.05.2021 - 3 Va 16/19) und auch das OLG Frankfurt a.M. bereits in früheren Entscheidungen (Beschluss vom 16.07.2020 - 20 VA 19/19; Beschluss vom 24.09.2020 - 20 VA 9/19, FD-VersR 2021, 438247).

Gegen den Beschluss hat das OLG Frankfurt a.M. die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 29 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGGVG. Die grundsätzliche Bedeutung begründet der Senat mit der Vielzahl der Verfahren, die bei ihm und anderen Oberlandesgerichten angefallen sind.

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 16.02.2021 - 20 VA 59/19, BeckRS 2021, 25732