NJW-Editorial
Recht auf „gute Regulierung“?
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Die KI-Verordnung – auf EU-Ebene auch als AI Act oder „Gesetz über Künstliche Intelligenz“ bezeichnet – dümpelte seit ihrer Vorstellung durch die EU-Kommission im April 2021 ein wenig vor sich hin, bis ein „Phänomen“ namens ChatGPT im November 2022 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Seitdem ist nichts mehr, wie es war, denn schnell mussten in den Augen Einiger die antizipierten Gefahren dieser generativen KI vorsorglich in den Verordnungsentwurf eingebaut werden. Was mit heißer Nadel gestrickt wurde, fand seinen Eingang in die Parlamentsfassung vom 14.6.​2023, mit der der ­Trilog endgültig starten konnte.

13. Okt 2023

Es ist Druck auf dem Kessel. So könnte man bildlich die Situation dieses Trilogs zum AI Act im Brüssel (einschließlich der angeschlossenen EU-Hauptstädte) dieser Tage umschreiben. Rechtsgeschichte schreiben soll eine wegweisende und zukunftsfeste, an EU-Werten und -Grundfreiheiten orientierte Regulierung „der“ Künstlichen Intelligenz. Gleichzeitig soll der Wirtschaftsstandort EU gestärkt werden und KI-Wertschöpfung beginnend mit KI-Basismodellen auch hierzulande „stattfinden“. Es möge sich auch der sogenannte Brussels Effect einstellen – EU-Regulierung als globaler Exportschlager. Und das alles noch vor der für Juni 2024 anzusetzenden Europawahl, aber gerne noch unter der spanischen Ratspräsidentschaft, die an Silvester 2023 endet.

Ein auf eine unmögliche Leistung gerichtetes Vorhaben? Es ist wahrhaftig nicht einfach, eine gesetzliche Regelung zu erlassen, wenn einerseits generative KI (ChatGPT & Co.) für jedermann erlebbar ist, andererseits die Diskontinuität dräut. So wird intensiv über Definitionen gestritten, beginnend beim Begriff „Künstliche Intelligenz“. Man hadert also immer noch damit, was man eigentlich regulieren möchte. Es ist kein Geheimnis, dass man sich oftmals zuerst auf Vorgaben und Rechtsfolgen ihrer Missachtung einigt, bevor man den Anwendungsbereich einer Regelung oder dafür relevante Definitionen festlegt. Andererseits werden ausufernde Kataloge sogenannter „Hochrisiko-KI“ festgeschrieben, ohne wirklich ernsthaft diskutiert zu werden.

Der Feind von Innovation und neuen Geschäftsmodellen ist die Überregulierung. Ziel der meisten Beteiligten am Trilog ist eine „gute Regulierung“ – im Detail heftig umstritten. Angst müssen (KI-)Unternehmen vor zu unbestimmten Rechtsbegriffen haben, die voraussichtlich an (zu) vielen Stellen im AI Act stehen werden. Neben Überregulierung ist diese drohende Rechtsunsicherheit ein erhebliches Problem, gerade für die nicht mit Milliarden ausgestatteten europäischen KI-Unternehmen. Das Petitum an den EU-Gesetzgeber lautet daher: Reguliert sachte und überlegt, reguliert im Zweifel nicht, bevor ihr überreguliert und reguliert vielleicht an mancher Stelle auch einmal gar nicht. Technischer und auch gesellschaftlicher Fortschritt ist ohne Mut schwer möglich – nicht nur unternehmerischen Mut.

Rechtsanwalt und Syndikusrechtsanwalt Tobias Haar, LL.M. (Rechtsinformatik), MBA, ist General Counsel der Aleph Alpha GmbH, Heidelberg.