NJW-Editorial
Reallabor Zivilprozess

Das Bundesjustizministerium hat einen Entwurf für ein „Gesetz zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit“ veröffentlicht. Es ist gut, dass der Bund Experimentierräume („Reallabore“) für eine Modernisierung des Zivilprozesses schafft. Und die Neuregelung hat sich allein dann gelohnt hat, wenn am Ende eine bundeseinheitliche datenbasierte Kommunikationsplattform beA & Co. ablöst.

26. Jun 2024

Am 11.6.​2024 hat das Bundesministerium der Justiz den Referentenentwurf eines ­„Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit“ veröffentlicht. Dieser sieht die Schaffung eines neuen Buches 12 „Erprobung und Evaluierung“ in der ZPO vor, das die Rechtsgrundlage für ein besonderes Online-Verfahren bilden soll, welches die Länder etablieren können. Dort soll das gesamte Verfahren – bei Einverständnis der Parteien – digital ablaufen, von der Klageeinreichung über ein „digitales Eingabesystem“, die Verwendung einer bundeseinheitlichen Kommunikationsplattform und die datenbasierte Strukturierung des Streitstoffs bis zur Video- oder ­Audioverhandlung mit Beweisaufnahme. Die Urteile sind digital zu veröffentlichen. Dieses Online-Verfahren soll für alle amtsgerichtlichen Verfahren über die Zahlung ­einer Geldsumme (ohne FamFG und Familiensachen) möglich sein. Es soll über zehn Jahre erprobt und nach vier und acht Jahren evaluiert werden.

Der Entwurf ist Bestandteil des größeren Digitalisierungsprojekts „Zivilgerichtliches Online-Verfahren“ (https://www.zugang-zum-recht-projekte.de/onlineverfahren), das daneben vor allem die technische Umsetzung zum Ziel hat. So existiert bereits ein Prototyp für die Online-Klage unter anderem bei Fluggastrechten; für die Strukturierung des Sachverhalts bei der Klageeinreichung durch „Profis“ werden XJustiz-Datensätze entwickelt. Im weiteren Verlauf soll auch die bundeseinheitliche Kommunikationsplattform in Angriff genommen werden.

Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass der Bund tätig wird und Experimentierräume („Reallabore“) für eine Modernisierung des Zivilprozesses schafft. Auch die Entwicklung bundeseinheitlicher Softwarelösungen vom Klagetool bis zur Kommunikationsplattform ist positiv zu bewerten, durchbricht es doch die Ineffizienz paralleler Entwicklungen ­untereinander inkompatibler Lösungen durch die Bundesländer wie bei der E-Akte. Ob die konkreten Lösungen dann auch in der Praxis überzeugen, bleibt im Sinne des Entwurfs zu erproben. Insbesondere das Onlinetool für die einfache Klageerhebung durch Naturalparteien ist hier Zweifeln ausgesetzt: Nach Eingang der Klageerwiderung werden anwaltlich nicht vertretene Klageparteien zwangsläufig mit den Risiken eines Zivilprozesses unter Geltung des Beibringungsgrundsatzes alleine gelassen, denn für eine passgenaue Replik mit den richtigen Beweisangeboten wird sich wohl kein Onlinetool entwickeln lassen, das zugleich dem Gebot richterlicher Neutralität entspricht. Die Evaluation dient jedoch gerade auch dazu, dies zu erproben. Selbst wenn am Ende nur die allgemein herbeigesehnte bundeseinheitliche datenbasierte Kommunikationsplattform bleibt und nach erfolgreicher Erprobung beA & Co. ablöst, hat sich das gesamte Projekt schon gelohnt.

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Prof. Dr. Thomas Riehm ist Inhaber des Lehrstuhls für Privatrecht, Zivilverfahrensrecht und Rechtstheorie sowie Sprecher des Instituts für das Recht der Digitalen Gesellschaft (IRDG) der Universität Passau.