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Sorgfaltspflichten im KI-Zeitalter
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InfiniteFlow/adobe

KI-Systeme versprechen Effizienzgewinne und sind doch fehlerbehaftet. Dies zeigen jüngere Gerichtsentscheidungen, die eine mangelnde anwaltliche Sorgfalt teilweise deutlich rügen.

4. Nov 2025

In mehreren aktuellen Fällen wurden Schriftsätze offensichtlich mithilfe von Sprachmodellen erstellt, deren Inhalte einschließlich frei erfundener Verweise auf Gerichtsentscheidungen und Gesetzeszitate ungeprüft übernommen wurden. Damit haben die Betroffenen unzweifelhaft ihre anwaltlichen Sorgfaltspflichten verletzt, wie die jüngste Rüge des LG Frankfurt a.M. (NJW 2025, 3174) belegt.

Der Anwalt als entscheidende Prüfinstanz

Juristische Arbeiten zeichnen sich durch einen hohen Anspruch an Genauigkeit und Präzision aus. Die blind übernommene Fehlinformationen der KI steht dem diametral entgegen. Die Veröffentlichung entsprechender Entscheidungen über die amtlichen Plattformen der Justiz führt dazu, dass diese Missstände mittlerweile rasch öffentlich werden und eine (Fach-)Diskussion angestoßen wird, die geeignet ist, derartige Fehler künftig einzudämmen. Nicht auszumalen wäre allerdings der Schaden, wenn künftig nicht nur falsche Fundstellen in Schriftsätzen zitiert werden, sondern sogar vollständig gefälschte Urteile in juristische Datenbanken eingespeist würden, die anschließend die Rechtsprechung beeinflussen. Um ein solches Szenario zu verhindern, ist eine konsequente Verifikation von Entscheidungen unerlässlich.

Verschärfter Prüfungsmaßstab durch die Justiz

Angesichts dieser Entwicklungen sind die Gerichte gefordert, einen angemessenen Sorgfaltsmaßstab anzulegen und nicht nur etwa die üblichen „Nebelkerzen“ in Schriftsätzen zu identifizieren. Sie müssen nunmehr Gesetzeszitate und zitierte Entscheidungen noch kritischer als bislang überprüfen, was einen Mehraufwand bedeutet. Als Arbeitserleichterung wäre es wünschenswert, wenn die im Einsatz befindlichen eAkten-Systeme fehlerhafte Fundstellen und Zitate automatisiert kennzeichnen würden. Die Anwaltschaft entbindet dies nicht von ihrer Verantwortung.

Es ist zudem davon auszugehen, dass auch Naturalparteien künftig vermehrt auf Sprachmodelle zurückgreifen werden, um Schriftsätze selbst zu verfassen und so die Kosten für eine anwaltliche Beratung zu sparen. Mithin werden die Gerichte auch bei einer Disziplinierung der Anwaltschaft mit der zuvor beschriebenen Problematik weiter konfrontiert sein. Es stellt sich deshalb die Frage, wie die Justiz unter anderem durch Hinweise auf ihren Webseiten alle Verfahrensbeteiligten für ihre jeweiligen Sorgfaltspflichten in Rechtsstreitigkeiten sensibilisieren kann.

Präzision als Herausforderung juristischer Bildung

Dass Sprachmodelle keine spezialisierten juristischen Werkzeuge sind, beweisen bereits die von ChatGPT generierten Texte zur KI-Verordnung. Diese enthalten regelmäßig unzutreffende Normzitate, und selbst bei GPT-5 verschwimmen die verschiedenen Entwurfsversionen häufig mit der amtlichen Fassung. Gerade in der Hochschulpraxis lässt sich bei Seminar- und Hausarbeiten daran gut ablesen, wie viel Sorgfalt in die jeweilige Ausarbeitung geflossen ist.

Das hohe Maß an Gründlichkeit auch in Zeiten zunehmend beschleunigter Arbeitsprozesse zu wahren, bleibt Aufgabe und Herausforderung zugleich. KI-Systeme können leistungsfähige Werkzeuge sein. Aber für jeden juristischen Schriftsatz muss gelten: Der Mensch ist und bleibt die letzte Instanz der Wahrheit. Wer als Anwalt Inhalte ungeprüft in den Schriftsatz übernimmt, der gefährdet nicht nur das Mandat, sondern auch die Glaubwürdigkeit des gesamten Berufsstands.

All dies veranlasst nicht wenige Juristen, den KI-Einsatz mit Skepsis zu betrachten. Pointiert formuliert: Am liebsten würde man das Rad zurückdrehen. Doch man kann dies auch als Chance begreifen: Bedenkt man, dass auf allen Ebenen rechtlicher Texterstellung (Jurastudium, Literatur, Schriftsätze oder Gerichtsentscheidungen) schon immer fehlerhafte, sprachlich ungenaue oder inkonsistente Texte entstanden sind, wird deutlich: Die aktuelle Situation zwingt uns dazu, die Qualität rechtlicher Texte künftig noch stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Generative KI zwingt uns, genauer hinzusehen, und bietet zugleich im Prozess der Co-Kreation Werkzeuge zur Qualitätskontrolle und -steigerung. Nach einer Übergangsphase der Verunsicherung kann sowohl die Rechtswissenschaft als auch die Rechtsprechung langfristig davon profitieren. Der Einsatz von KI muss jedoch intelligent und verantwortungsvoll gestaltet werden. 

Dieser Inhalt ist zuerst in der NJW erschienen. Sie möchten die NJW kostenlos testen? Jetzt vier Wo­chen gra­tis tes­ten inkl. On­line-Modul NJW­Di­rekt.

Prof. Dr. Anne Paschke, Technische Universität Braunschweig, ist Mitglied des Vorstands des EDV-Gerichtstags e.V.