Recht Digital

Zivilverfahrensrecht für eine digitale Welt
Recht Digital
foxyburrow/adobe

Dass die Zivilprozessordnung – auch angesichts der technischen Entwicklung – eines Updates bedarf, ist wohl mittlerweile unumstritten. Spannend wird, ob die ZPO zu ihrem 150. Geburtstag in vier Jahren eine große Reform erlebt oder ob ihre Anpassung – wie bisher – durch viele kleine Änderungen erfolgt.

12. Aug 2025

Bereits 2020 legten die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammegerichts, des BayObLG und des BGH ein Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses vor. 2022 folgte ein Grundlagenpapier zum Einsatz von KI und algorithmischen Systemen in der Justiz sowie im Jahr 2024 die Münchener Thesen zum Zivilprozess der Zukunft samt Tagungsbänden zur Auftakt- und Abschlussveranstaltung.

Ebenfalls 2024 tagte die durch den damaligen Bundesjustizminister sowie die Justizministerinnen und Justizminister der Länder eingesetzte Reformkommission „Zivilprozess der Zukunft“, die Anfang 2025 ihren Abschlussbericht vorlegte. Ausweislich des Koalitionsvertrags sollen zur Modernisierung der Zivilprozessordnung Impulse dieser Reformkommission aufgegriffen und weitere Maßnahmen zur Bewältigung von Massenverfahren sowie die Stärkung von Schätzungs- und Pauschalisierungsbefugnissen ergriffen werden. Diese Papiere wurden kommentiert und auf weitere Bereiche, die einer Modernisierung bedürfen, hingewiesen. Material, auf dessen Basis die Modernisierung der ZPO geplant werden kann, gibt es somit genug.

Neue alte Vorhaben

Die ersten Referentenentwürfe zur Anpassung der Zivilprozessordnung der neuen Legislaturperiode machen dort weiter, wo die alte Regierung aufgehört hat. Vorhaben, die der Diskontinuität unterfallen sind, wurden wieder aufgenommen. Ein Beispiel hierfür ist der Entwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit (OVErpG), der zu begrüßen ist, da durch ihn die Rechtsgrundlage für eine sinnvolle Fortführung des Projekts zivilgerichtliches Online-Verfahren des BMJV und des DigitalService geschaffen wird und die Aufnahme eines neuen 12. Buches der ZPO „Erprobung und Evaluierung“ die Hoffnung zulässt, dass umfassende weitere Regelungen geplant sind.

Zudem wurde durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ein Gesetzentwurf zur Änderung der Vorschriften über die Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und die allgemeine Beeidigung von Gerichtsdolmetschern vorgelegt, der zur Vermeidung von Risiken für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege den Ländern die Möglichkeit eröffnet, die Frist zur Einführung der elektronischen Akte, die durch das Gesetz zur Einführung einer elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.​2017 auf den 1.1.​2026 festgesetzt wurde, bis zum 31.12.​2026 zu verlängern.

Eine Vision der Zukunft

Es wäre ein starkes Signal, wenn der Gesetzgeber zur Schaffung einer zukunftsfähigen Ziviljustiz nach den ersten eiligen Vorhaben eine umfassende Reform der ZPO in Angriff nehmen würde. In ihrer auf sechs Monate begrenzten Tätigkeitszeit ist es der Reformkommission „Zivilprozess der Zukunft“ im Rahmen ihres durch ein Eckpunktepapier begrenzten Arbeitsauftrags gelungen, Handlungsempfehlungen zu entwickeln, die ineinandergreifen und hierdurch ein kohärentes Gesamtkonzept ergeben. Diese könnten als Fundament für eine große ZPO-Reform dienen. Hierzu wäre es wünschenswert, wenn unter Einbindung aller Stakeholder gezielt an einer Vertiefung des bislang entwickelten Konzepts gearbeitet würde. Offensichtliche Lücken, wie der bereits im Koalitionsvertrag genannte Umgang mit dem Phänomen der Massenverfahren, müssten dabei noch geschlossen werden.

Gestalten statt reagieren

Es ist zu erwarten, dass sich die Arbeit der Anwaltschaft durch die Nutzbarmachung der Möglichkeiten generativer KI in den nächsten Jahren verändern wird. Daher müssen jetzt die Strukturen geschaffen werden, die es der Justiz ermöglichen, mit diesen Entwicklungen umzugehen. Bislang wurde das Verfahrensrecht scheibchenweise an die Realitäten einer digitalen Welt angepasst. Aktuell hat der Gesetzgeber die historische Chance, durch eine große ZPO-Reform nicht nur zu reagieren, sondern aktiv zu steuern, wie die Justiz der Zukunft aussehen soll. 

Isabelle Biallaß ist Richterin am OLG Hamm, Vorstandsmitglied des Deutschen EDV-Gerichtstags e. V. und war Mitglied der Reformkommission Zivilprozess der Zukunft.