Anmerkung von
RA Dr. Jens Günther, Gleiss Lutz, München
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 13/2022 vom 07.04.2022
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Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Verlagerung des Beschäftigungsorts mehrerer Arbeitnehmer innerhalb Berlins und darüber, ob es sich dabei um Versetzungen nach § 99 I BetrVG handelt. Die bei der beteiligten Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmer erbringen ihre Tätigkeit in unterschiedlichen Dienstgebäuden im Berliner Stadtgebiet. Die Arbeitgeberin informierte den beteiligten Betriebsrat darüber, dass anlässlich der Umsetzung der in einem Interessenausgleich und Sozialplan festgelegten Maßnahme der Umzug von 59 namentlich benannten Arbeitnehmern innerhalb Berlins geplant sei. Die Entfernung zwischen den Standorten beträgt mit dem Kfz 12,1 km, die Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln mindestens 46 Minuten. Die Arbeitgeberin setzte den Umzug ohne Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG um. Infolge der Verlagerung der Arbeitsplätze änderten sich die Art der Tätigkeit, die funktionalen Beziehungen der betroffenen Arbeitnehmer untereinander, die Einordnung in die Arbeitsabläufe und die Zuständigkeiten von Vorgesetzten nicht. Der Betriebsrat ist der Ansicht, die Umsetzungen der betroffenen Arbeitnehmer seien nach § 101 BetrVG aufzuheben. Es handele sich dabei aufgrund des Wechsels des Arbeitsorts um Versetzungen, die einer Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 I BetrVG bedürften. Das ArbG hat den Antrag des Betriebsrats auf Aufhebung der Versetzung abgewiesen. Das LAG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen.
Entscheidung
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats war erfolglos. Das BAG verneinte eine Verpflichtung der Arbeitgeberin, die Umsetzungen nach § 101 BetrVG aufzuheben. Der Betriebsrat könne nach § 101 S. 1 BetrVG zwar beim ArbG beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine personelle Maßnahme gemäß § 99 I 1 BetrVG aufzuheben. Dies setze aber voraus, dass der Arbeitgeber eine solche Maßnahme ohne erforderliche Zustimmung durchgeführt habe. Nach der Legaldefinition in § 95 III 1 BetrVG liege eine zustimmungspflichtige Versetzung erst bei der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs vor, welche die Dauer von voraussichtlich einem Monat überschreite oder mit erheblichen Änderungen der Umstände verbunden sei, unter denen die Arbeit zu leisten sei. Vorliegend sei eine Zustimmung nach § 99 I BetrVG nicht erforderlich gewesen. Die Verlagerung der Arbeitsplätze in Berlin stelle keine Versetzung der betroffenen Arbeitnehmer nach §§ 99 I 1, 95 III BetrVG dar. Den betroffenen Arbeitnehmern sei mit dem Umzug kein anderer Arbeitsbereich zugewiesen worden. Die funktionalen Beziehungen der Arbeitnehmer untereinander, die Art ihrer Tätigkeit, die Einordnung in die Arbeitsabläufe des Betriebs und die Zuständigkeiten von Vorgesetzten hätten sich in Folge der örtlichen Verlagerung der Arbeitsplätze nicht geändert. Vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters sei die neue Tätigkeit nach der räumlichen Veränderung daher nicht als eine „andere“ anzusehen. Auch die Entfernung zwischen dem bisherigen und dem neuen Standort führe zu keiner anderen Betrachtung. Die räumliche Entfernung spiele bei der Verlagerung betrieblicher Einheiten innerhalb einer Gemeinde ohne sonstige Änderungen der betrieblichen Strukturen keine ausschlaggebende Rolle. Zwar könne sich auch eine Standortverlagerung innerhalb einer politischen Gemeinde nicht unerheblich auf die Wegzeiten der betroffenen Arbeitnehmer auszuwirken. Die Veränderung eines solchen außerbetrieblichen Umstandes sei aber für den Arbeitsbereich der Abreitnehmer – im Sinne ihrer Aufgaben, Verantwortung, der Art ihrer Tätigkeit und ihrer Einordnung in den Arbeitsablauf – nicht relevant. Der Arbeitsort sei nach dem allgemeinen Sprachgebrauch vielmehr einer bestimmten politischen Gemeinde zugeordnet, wobei der Verlegung des Betriebssitzes innerhalb einer Gemeinde typischerweise keine signifikanten Entfernungen zu Grunde liege.
Praxishinweis
Der 7. Senat bestätigt seine bisherige Rechtsprechung (BeckRS 2006, 43980), wonach die räumliche Verlagerung eines Betriebs ohne hinzutretende Änderungen an der Tätigkeit der Arbeitnehmer, der innerbetrieblichen Umgebung oder der Organisation keine mitbestimmungspflichtige Versetzung nach §§ 95 III 1, 99 I 1 BetrVG darstelle. Anders kann dies im Einzelfall zu beurteilen sein, wenn Gemeindegrenzen überschritten werden oder es sich um größere Entfernungen handelt. Die Annahme des LAG, die Entfernung von 12,1 km zwischen den beiden Standorten wäre im konkreten Fall unerheblich, ist nach Auffassung des 7. Senats jedenfalls nicht zu beanstanden.
BAG, Beschluss vom 17.11.2021 - 7 ABR 18/20 (LAG Niedersachsen), BeckRS 2021, 47443