NJW: Herr Dr. Kirchhoff, Sie sind von einer Großkanzlei an den BGH gewechselt. Solch ein Karriereweg ist überaus selten. Weshalb sind Sie ihn gleichwohl gegangen?
Kirchhoff: Meine stets wirtschaftsberatende Anwaltstätigkeit habe ich im Jahr 1989 in einer mittelgroßen Kanzlei in Düsseldorf begonnen und Ende 2004 als Partner einer großen internationalen Sozietät in Brüssel beendet. Sie bot mir die Gelegenheit, anspruchsvolle Mandate mit Leidenschaft zu bearbeiten. Das Berufsbild des wirtschaftsberatenden Anwalts gerade in einer größeren Sozietät hat sich in dieser Zeit aber gravierend gewandelt. Es hatte am Ende nicht mehr allzu viel mit dem freien Beruf zu tun, den ich zu Beginn meiner Karriere ergreifen wollte und zu einem guten Teil auch noch konnte. Kennzahlen wie Umsatz und Profit per Partner sollten nicht auf Dauer zum Hauptziel meiner Tätigkeit werden. Vielmehr war es mir wichtig, weiterhin interessante Rechtsfragen auf wissenschaftlichem Niveau lösen zu können, ohne über Stundenhonorare und billable hours zu streiten. Zudem war die Lebensqualität und insbesondere das Familienleben im Laufe des Anwaltslebens doch sehr kurz gekommen. Zwar haben Richter am BGH ein großes Arbeitspensum. Bei der Einteilung von Zeit und Ort der Arbeit besteht aber erhebliche Flexibilität und weitgehende Berechenbarkeit, was ich als Anwalt so nicht kannte. Da habe ich die Chance, als Richter unmittelbar an den Bundesgerichtshof zu wechseln, sehr gern ergriffen.
NJW: Es wird ja oft mehr Durchlässigkeit zwischen beiden Berufswegen gefordert. Zu Recht?
Kirchhoff: Diese Forderung ist meines Erachtens berechtigt. Insbesondere das englische Beispiel zeigt, wie bereichernd eine größere Durchlässigkeit sein kann. Den Blick für Bedürfnisse der Praxis, Erfahrungen als Anwalt und das bei Anwälten eher anzutreffende wirtschaftliche Verständnis halte ich durchaus für Fähigkeiten, über die Richter stärker verfügen sollten. Allerdings darf man natürlich nicht verkennen, dass sich das britische Justizsystem fundamental von demjenigen in Deutschland unterscheidet. Man müsste also in Deutschland eigene Wege finden, um die Forderung umzusetzen. Massenhafte Quereinstiege würden Karrierechancen begabter Berufsrichter unangemessen beeinträchtigen. Aber der Wechsel in den anderen Berufsstand auch in späteren Jahren der Berufspraxis und in eine höhere Instanz sollte jedenfalls nicht mehr die absolute Ausnahme sein, wie es derzeit der Fall ist.
NJW: Wie kam Ihr Seiteneinstieg bei Ihren neuen Kollegen an?
Kirchhoff: Beim BGH habe ich zunächst im X. Zivilsenat unter dem damaligen Vorsitzenden Prof. Klaus-Jürgen Melullis angefangen. Durch ihn ist mir die Integration sehr leicht gefallen. Mein Eindruck war, als „Paradiesvogel“ im Haus mehr neugierig und interessiert als kritisch oder gar neidisch beäugt zu werden. Hilfreich mag auch gewesen sein, dass ich recht bald einen Senatsausflug organisierte und Mitglied des Richterrats wurde. Allerdings ist naturgemäß nicht jeder Kollege für Quereinsteiger gleich offen.
NJW: Nun unterscheidet sich die Arbeitsweise eines Richters von der eines Anwalts ganz erheblich. War das für Sie am Anfang problematisch?
Kirchhoff: Da ich schon als Anwalt mit Vorliebe (möglichst) ergebnisoffene Gutachten geschrieben habe, war die Umstellung bei der inhaltlichen Arbeit gar nicht so schwierig. Viel zu lernen gab es natürlich bei Formalien und Verfahren. Und ungewohnt war, dass auch am BGH der Richter weitgehend als Einzelkämpfer arbeitet. Zunächst ungewohnt war auch, keine Associates oder Sekretärinnen zu haben, die einem persönlich zur Seite stehen, wie ich es aus der Großkanzlei gewöhnt war. Beim BGH sind auch keine Referendare tätig. Zwar gibt es pro Senat regelmäßig drei oder vier „wissenschaftliche Mitarbeiter“, bei denen es sich um gestandene und begabte jüngere Kollegen von den Land- und manchmal auch Oberlandesgerichten handelt. Sie haben in den Senaten vielfältige Aufgaben, zu denen nach Zuteilung durch den Senatsvorsitzenden insbesondere auch Vorvoten in umfangreichen und/oder komplexen Sachen gehören. Das betrifft aber nur einen kleinen Teil der Voten des einzelnen Berichterstatters und führt nicht zu einer Teamarbeit, wie sie heute in größeren Anwaltskanzleien üblich ist. Für die richtige Zitierweise und die Fundstellenkontrolle sind die Bundesrichter regelmäßig selbst verantwortlich. Gewöhnungsbedürftig war ebenfalls der aus Anwaltssicht kleinlich wirkende, vom Haushaltsrecht diktierte Umgang mit Reisekosten, insbesondere etwa im Zusammenhang mit Fortbildungen.
NJW: Was war die größte Umstellung für Sie?
Kirchhoff: Die stets auf die konsensuale Suche nach der richtigen Auslegung des Rechts ausgerichtete gemeinsame Beratung in einem hochqualifizierten Kollegium von fünf Richterpersönlichkeiten. Damit verbunden ist eine erhebliche und wohl der Würde des Amtes geschuldete Zurückhaltung, die regelmäßig bei der Formulierung von Rechtsansichten in Beratungen erwartet wird.
NJW: Was halten Sie von der Forderung, Anwälte als Richter an das BVerfG zu berufen?
Kirchhoff: Bei 16 Bundesverfassungsrichtern hielte ich es für grundsätzlich angemessen, wenn in jedem Senat ein Anwalt wäre, insgesamt also zwei. Allerdings dürfte die konkrete Auswahl alles andere als einfach werden. Neben Hochschulprofessoren, Berufsrichtern, Politikern und hohen Verwaltungsbeamten wären Anwälte zweifellos eine Bereicherung, die dem BVerfG zu größerer Repräsentativität verhelfen würde.
NJW: Und sollte man das gesetzlich vorschreiben?
Kirchhoff: Da bin ich mir nicht so sicher. Es scheint mir doch mehr eine politische Frage zu sein. Denn schon jetzt ist die Wahl von Anwälten zu Bundesverfassungsrichtern gemäß § 3 I BVerfGG möglich. Jedenfalls sollte eine eventuelle gesetzliche Regelung nicht zulasten der insgesamt sechs Richter erfolgen, die nach dem Gesetz aus dem Kreis der Bundesrichter zu wählen sind, damit auch weiterhin ausreichender richterlicher Sachverstand in den Senaten des Bundesverfassungsgerichts gewährleistet ist.
Seine berufliche Laufbahn hat Dr. Wolfgang Kirchhoff zu ganz unterschiedlichen Betätigungsfeldern geführt. Nach Abschluss seiner juristischen Ausbildung bearbeitete er ab 1986 im Rahmen des Wehrdienstes Personalrechtsfragen im Bundesverteidigungsministerium. Ab 1989 war er vorwiegend im Gesellschaftsrecht in einer mittelgroßen Düsseldorfer Kanzlei tätig. Fünf Jahre später schloss sich der gebürtige Dortmunder der Kartell-, Beihilfe- und Vergaberechtspraxis einer internationalen Großkanzlei an. Bereits 1996 wurde er dort zum Partner ernannt. Im November 2004 erfolgte seine Ernennung zum Richter am BGH. Anfang 2007 wechselte der Vater von zwei Kindern vom X. in den I. Zivilsenat. Gleichzeitig trat er dem Kartellsenat bei. Kirchhoff ist außerdem Lehrbeauftragter an der Universität Bonn und einer der Vizepräsidenten der Association of European Competition Law Judges.
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