Kolumne
„Quatschjura“
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© NJW/Harald Schnauder

In den sozialen Netzwerken hat sich ein neuer Begriff etabliert: „Quatschjura“. Gemeint sind damit „rechtliche“ Ausführungen, die durch die Nutzung von Fachbegriffen und/oder Paragrafen vermeintlich juristisch daherkommen, aber stramm an der Rechtslage vorbeigehen, wenn nicht gar völlig absurd sind. Quatschjura ist übrigens keine Spezialität von Laien. Auch Juristinnen und Juristen bekommen regelmäßig dieses Etikett angeheftet, wenn sie allzu steile Thesen vertreten, sich das Recht auf ein bestimmtes Ergebnis zurechtbiegen oder rechtliche Bewertungen ohne jede Sachverhaltskenntnis vornehmen.

24. Nov 2022

Weil auf den Plattformen schnelle und zugespitzte Statements besonders viel Aufmerksamkeit versprechen, wird ziemlich viel Quatschjura hinausposaunt, auch von Leuten, die es eigentlich besser wissen. Anwälte wurden schon dabei ertappt, Rechtspolitiker und Rechtsjournalisten ebenfalls, sogar Rechtswissenschaftler. Offenbar gilt auch für Juristen: Umso hitziger über ein Thema gestritten wird, umso irrationaler sind die Diskursbeiträge. Und dabei kommt dann eben häufig Quatschjura raus.

Besonders gut zu beobachten ist das bei der aktuellen Diskussion um die radikalen Protestaktionen der Klimaaktivisten namens „Letzte Generation“, die auch juristisch teilweise völlig aus dem Ruder lief. Die Klebeaktionen auf Straßen und in Museen wurden schon unter die wildesten Tatbestände subsumiert. Andere meinen, das hehre Ziel des Klima­schutzes rechtfertige unter dem Gesichtspunkt des Notstands jede Form des Protests, auch den gewaltsamen. Logischerweise werden die verschiedenen ­Ansichten schon mit Inbrunst vorgetragen, wenn die jeweilige Sachlage noch völlig unklar ist.

In harten Auseinandersetzungen werden auch streitbare Rechtsmeinungen schnell als Quatschjura abqualifiziert. Diese Erfahrung mussten jüngst Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) machen, die sich mit gewagten juristischen Einlassungen früh in der Debatte über die rechtliche Einordnung der Klimaproteste zu Wort gemeldet hatten. Kaum gepostet, hieß es schon, die Ressortchefs verbreiteten Quatschjura. Auch das Statement einer Juraprofessorin zu weitreichenden Notwehrrechten blockierter Verkehrsteilnehmer (das Losreißen der Aktivisten von der Straße sei schon in Ordnung, auch wenn es zu erheblichen Verletzungen führe) bekam sogleich diesen Stempel.

Die Diskussion über die Protestaktionen der letzten Generation fördert offenbar nicht nur wagemutige juristische Bewertungen, sondern ebenso die sprachliche Kreativität. Weil Quatschjura mittlerweile inflationär gebraucht wird, haben sich schon Alternativen wie „Fake Law“ oder „gefühltes Recht“ entwickelt. Ähnlich läuft es bei der Bezeichnung der Aktivisten. Nachdem zunächst in unzähligen Überschriften von den „Klima-Klebern“ die Rede war, wurde später auf „Pattex-Pöbler“ umgestellt. Was kommt als nächstes? Vielleicht „Pritt-Protestler“ oder „Uhu-Umweltschützer“?

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Tobias Freudenberg ist Rechtsanwalt und Schriftleiter der NJW, Frankfurt a.M..