Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 02/2022 vom 28.01.2022
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Sachverhalt
K begehrt die Unterlassung von drei Handlungen. Die unterschiedlichen Handlungen sind durch eine „und/oder“-Verknüpfung kumulativ und alternativ verbunden. Fraglich ist, ob in dieser Situation für die kumulative Verknüpfung („und-Verknüpfung“) ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.
Entscheidung: Es besteht ein Rechtsschutzbedürfnis!
Dem Klageantrag lasse sich nicht entnehmen, dass nur Verhaltensweisen untersagt werden sollen, die gleichzeitig stattfinden. Er erfasse sprachlich auch Fälle, in denen die beanstandeten Verhaltensweisen, die bei Vertragsabschluss unterlassen werden sollen, kumulativ mit einem mit nach Vertragsschluss zusammentreffen. Ein solcher Fall sei im Fall (eine Vertragsbeziehung zwischen B und einem Wohnungsmieter) aber auch ohne Weiteres denkbar. Die Revisionserwiderung berufe sich ohne Erfolg für ihre Ansicht, die kumulative Verknüpfung sei unzulässig, auf das Senatsurteil „Hörgeräteversorgung II“. Der Senat habe dort zwar eine in einem Unterlassungsantrag enthaltene „und-Verknüpfung“ von zwei Handlungen mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig angesehen, wenn gleichzeitig die Untersagung in alternativer Form („oder-Verknüpfung“) begehrt und der zweite Teil des Antrages vollständig von dem selbständigen ersten Teil des Antrags in der „oder-Verknüpfung“ erfasst werde (Hinweis auf BGH GRUR 2011, 345 Rn. 53). Damit sei die Antragsfassung im Streitfall aber nicht gleichzusetzen.
Praxishinweis
Das Rechtsschutzbedürfnis ist auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen (BGH GRUR 2020, 886 Rn. 19 – Preisänderungsregelung). Es soll verhindern, dass Rechtsstreitigkeiten in das Stadium der Begründetheitsprüfung gelangen, für die eine solche Prüfung nicht erforderlich ist (BGH GRUR 2017, 1236 Rn. 37 – Sicherung der Drittauskunft = FD-ZVR 2017, 398395 (Ls.)). Grds. ist davon auszugehen, dass für jede Klage ein Rechtsschutzbedürfnis vorhanden ist, d.h. ein anerkennenswertes Interesse an einer Entscheidung des Rechtsstreits durch das Gericht. Bei Leistungsklagen wird das Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig vermutet (BGH NJW-RR 2018, 1285 Rn. 10 = FD-ZVR 2018, 410849 mAnm Elzer). Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt aber zB, wenn dem Kläger ein einfacherer Weg zur Erreichung seines Rechtsschutzziels zur Verfügung steht (BGH NJW-RR 2014, 617 11; BGH NJW-RR 2010, 19 Rn. 20). Dies ist bspw. der Fall, wenn über den Anspruch ein noch nicht rechtskräftiges Urteil oder ein sonstiger Vollstreckungstitel vorliegt, aus denen jeweils die Vollstreckung betrieben werden kann, oder wenn der Anspruch auf einem einfacheren Weg geltend gemacht werden kann (BGH NJW 2006, 1124 Rn. 6).
BGH, Urteil vom 18.11.2021 - I ZR 106/20, GRUR-RS 2021, 41674